150 Jahre Hermann

Detmold als Mittelpunkt des Reiches Am 16. August 1875 wird das Hermannsdenkmal auf der Grotenburg feierlich enthüllt. Lippe erlebt ein Großereignis mit Festzügen, Militärmusik und einer Stadt, die über Nacht zur Bühne des Kaiserreichs wird. Yvonne Glandien Kreis Lippe. Mit Pauken, Kanonendonner und kaiserlichem Besuch verwandelte sich Detmold im Sommer 1875 in das patriotische Zentrum des Deutschen Kaiserreichs. Drei Tage lang war die lippische Residenzstadt im Ausnahmezustand – wegen eines Denkmals, das viel mehr war als nur Abbild eines gefeierten Herrschers. Das Hermannsdenkmal wurde nach mehr als 40 Jahren Bauzeit eingeweiht. Am 16. August richtete sich der Blick des jungen Kaiserreichs auf die Grotenburg bei Detmold. Der Kaiser war gekommen, die Straßen waren gesperrt, und Detmold war für einen Moment Mittelpunkt des Reiches. „Die Nation war zu Gast in Detmold“, sagt Julia Schafmeister. Die Kuratorin arbeitet am Lippischen Landesmuseum in Detmold gerade an einer neuen Ausstellung – eine Auseinandersetzung mit dem Hermann und anderen internationalen Denkmälern, die ab Ende des Jahres gezeigt werden soll. Schafmeister hat bei ihren Recherchen die Archive gewälzt und weiß, vor welchen Aufgaben die Detmolder vor 150 Jahren standen: „Man hat alles versucht, um noch Schlafplätze zu organisieren“, sagt sie. „Die Fußböden waren belegt, da hat man einfach Hängematten unter die Decken gehängt.“ Dieser Eindruck einer Stadt im Ausnahmezustand zeigt sich auch, wenn man in die Zeitung der damaligen Zeit blickt. Das Fürstlich-Lippische Regierungs- und Anzeigenblatt – die LZ versteht sich als deren Nachfolger – berichtet über Monate von der anstehenden Feier. Diese begann bereits am 14. August mit der Einweihung des Kriegerdenkmals auf dem Kaiser-Wilhelm-Platz. Der offizielle Ablauf war akribisch geplant: Es sangen Schulkinder, Militärmusik erklang, Kränze wurden niedergelegt, Salutschüsse abgefeuert. Die Festordnung sah vor, dass „nach dem Choral ein dreimaliges Hoch auf Se. Majestät den Kaiser ausgebracht“ werde – ein Ritual, das sich in den kommenden Tagen oft wiederholen sollte. Am 15. August traf Wilhelm I. in Detmold ein. Die Stadt war herausgeputzt, Straßen und Plätze illuminiert, Ehrenspalier und Empfangskomitee vorbereitet. Aus Sicherheitsgründen wurde die Hiddeser Chaussee zum Denkmal am folgenden Tag vollständig für den allgemeinen Verkehr gesperrt. Schon vor der Ankunft Wilhelms I. war klar: Ganz Detmold wollte dabei sein. Die Zeitung notierte: „Die Bewohner Detmolds, die allseitig den Wunsch zu erkennen gegeben haben, Seine Majestät den Kaiser begrüßen zu wollen.“ Klar, dass dafür einige Regeln her mussten. So gab es über die Dauer mehrerer Wochen immer wieder Anordnungen. Dazu etwa, wo Pferde abgestellt werden durften oder wie Girlanden aufzuhängen seien – vor allem nicht zu tief hängend, damit sich kein Reiter darin verfangen konnte. Am 16. August war es dann so weit. Gegen 9 Uhr versammelten sich Vereine und Bürger am Kaiser-Wilhelm-Platz, um über Ameide, Schloßplatz, Lange Straße und Neustadt in einem großen Festzug zur Grotenburg zu wandern. Oben angekommen, fand schließlich die feierliche Übergabe durch General von Manteuffel statt. Dazu passend: Musikaufführungen, Chöre und Gedichte sorgten für ein festliches Gesamtbild. Begleitet wurde die Einweihung von der Aufführung der eigens komponierten „Hermanns-Cantate“ von H. Kühl, die unter anderem folgende Zeile enthielt: „Wo deutscher Sinn die That regiert / und Einigkeit ein Werk vollführt, / fehlt nimmer das Geweih‘.“ Neben dem offiziellen Programm entfaltete sich ein reges geschäftliches Treiben. Zahlreiche Anzeigen kündigten an, was das patriotische Herz begehren mochte – von Festbier über Zigarren bis hin zu Bronzemodellen des Denkmals. Der Detmolder Vergolder Alfred Heinrichs bewarb seine Replikate so: „Das Hermanns-Denkmal getreu nach dem Original in feinem Bronze-Guss. Höhe bis zur Schwertspitze 32 Centimeter.“ Zunächst kostete das Modell 18 Mark – wenige Tage später wurde der Preis auf 20 Mark erhöht. Auch andere Händler mischten mit: Zigarren mit dem Bildnis des Denkmals, Medaillen mit dem Kopf des Kaisers, emaillierte Gläser, sogar „Tischdecken mit bildlicher Darstellung des Hermanns-Denkmals“ wurden angeboten. Der Kölner Hersteller B. Richter warb für seine Zigarren damit, sie seien „von Fürst Leopold zur Lippe, dem Deutschen Kaiser sowie vom Kronprinzen empfohlen“. Für das leibliche Wohl war ebenfalls gesorgt. Aus Blomberg meldete ein Lieferant, er habe „80 Pfund delicaten Schinken“ für die Festtage vorbereitet. In Detmold entstand eine Art temporäre Vergnügungsmeile mit Bierzeltbetrieben, „Restaurationspavillons“ und Weinverkauf. Besonders hervorgehoben wurde der „Hamburger-internationale Erfrischungspavillon“, der mit „Rauchfleisch, Lachs usw.“ sowie mit Bordeauxweinen warb. Wer sich keine Unterkunft mehr sichern konnte, dem wurde empfohlen, eine „Taschen-Hängematte“ zu erwerben – in Anzeigen hieß es, sie eigne sich für „Camping, Reisen, Garten, Feld und Militär“ und wiege kaum ein Pfund. Ernst von Bandel, der Schöpfer des Denkmals, war zur Einweihung anwesend. Jahrzehntelang hatte er für das Bauwerk gekämpft, große Teile seines Lebens und Vermögens geopfert. In den Berichten jener Tage wird sein Name immer wieder genannt – mit Respekt, mit Pathos, mit demWissen,dassdiesesDenkmalzuallererst seinem unbeirrbaren Willen zu verdanken war. 150 Jahre später steht das Hermannsdenkmal immer noch auf der Grotenburg bei Detmold. Die nationalen Deutungen sind verblasst, das Pathos ist Vergangenheit. Doch der Blick zurück auf das Jahr 1875 zeigt, wie tief dieses Denkmal im historischen Moment verwurzelt war – und wie sehr sich Geschichte in Form gießen lässt. Der Stich, der im Lippischen Landesmuseum in Detmold ausgestellt ist, zeigt den großen Trubel zur Einweihungsfeier des Hermannsdenkmals am 16. August 1875. Foto: Lippisches Landesmuseum mit Langzeitwirkung in Verbindung mit dem Home Care plus Pass 16470101_800125 16560301_800125 150 Jahre Hermann 10 SAMSTAG/SONNTAG 9./10. AUGUST 2025

RkJQdWJsaXNoZXIy MTU2MTE4Mg==