150 Jahre Hermann

Der problematische Hermann „Das ist nicht irgendein Germane“, betont der Experte Jan Raabe. Für die extreme Rechte sei der Cheruskerfürst vielmehr eine wichtige Identifikationsfigur. Das führt immer wieder zu Konflikten. Martin Hostert Kreis Lippe. Jan Raabe, geboren 1965, studierte Sozialpädagogik und ist spezialisiert auf die Themenbereiche Rechtsextremismus und Rechtsrock. Er engagiert sich OWLweit in der Jugendarbeit gegen Rechts, unter anderem als Referent für den Bielefelder Verein Argumente & Kultur gegen Rechts. Bei zahlreichen Vorträgen war er in Schulen oder auf Einladung der Landeskirche auch in Lippe zu Gast. Herr Raabe, gibt es „die eine Begründung“, warum speziell dieses Denkmal die rechtsnational Gesinnten so anzieht? JANRAABE: Das Erste, was man begreifen muss: Die extremen Rechten sehen in „Hermann“ einen Germanen, und die Germanen sind für sie Vorbilder für Rasse, für Reinheit, für Überlegenheit. Echte Männer. Kämpfer. Krieger. Die ersten Deutschen. Sich selbst sehen sie in der Kontinuität dieser Germanen. Seit wann erfüllen die Germanen und der Hermann diese „Vorbildfunktion“? Das hat schon in der Völkischen Bewegung von der Jahrhundertwende an angefangen. Im Nationalsozialismus gab es Propagandaplakate, die eine Ahnenreihe zeigten: der wehrhafte Germane mit Schild und Schwert, daneben der SS-Mann. Auf den Plattencovern der Neunziger steht dann ein Skinhead – als Vertreter der extremen Rechten an deren Seite. Hermann ist für sie nicht irgendein Germane, sondern der, der die Stämme geeint hat. Der Erschaffer Deutschlands. Teile der extremen Rechten sehen in Hermann eine frühe Version von Hitler, den Führer des Volkes, den Schlachter der Schlachten, den Sieger über die „Fremden“. Ist das Denkmal zu Zeiten seiner Einweihung oder Zeiten des Baus auch schon so gesehen worden? Menschen interpretierten das Denkmal schon immer unterschiedlich. Und: Die Kleinstaaterei zu überwinden, einen Nationalstaat zu schaffen, bedeutet ja auch, Rechtssicherheit zu bekommen. Das ist erst einmal kein übersteigerter Nationalismus, sondern Nationenbildung. Wobei:ErnstvonBandelhatdasHermannsdenkmal ja nicht umsonst gen Frankreich ausgerichtet, weil er – wie viele andere – von dort die Gefahr kommen sah. Also hatte es schon immer problematische Elemente. Es ist kein Zufall, dass sich schon sehr früh dort die extreme Rechte und die völkische Bewegung versammelt haben, auch antisemitische Vereine. Goebbels hat zum Denkmal getönt: „Trotzig gegen Frankreich, das war immer und die Linie deutscher Politik.“ Nur, weil es gegen Frankreich war, war es zum Zeitpunkt seiner Erbauung noch nicht gleich nationalsozialistisch. Aber das Hermannsdenkmal hatte schon damals eine klare Feind-Ausrichtung und keine „Wir reichen uns die Hände und rauchen eine Friedenspfeife“-Ausrichtung. Doch andererseits hieß es einigen Quellen zufolge damals schon, das Denkmal sei als Mahnmal für die friedlich vereinte Menschheit, als ein Freiheits-Symbol für alle Völker gesehen worden. Es hat solche Deutungskämpfe aus der progressiv-fortschrittlichen Bewegung gegeben. Die Deutung im völkischen Sinne hat sich jedoch durchgesetzt und ist heute, neben der profanen Nutzung durch den Tourismus, die dominierende. Ist der Deutungskampf verloren? Man könnte doch in einer idealen Welt den Hermann umdeuten. Nicht nur als Einiger der deutschen Stämme, sondern – im Jahr 2025 – als Einiger Europas. Deutungskämpfe enden nie, ich bezweifele aber, dass es mit der Umdeutung so gut klappt – angesichts der Figur eines mit dem Schwert winkenden Mannes. Hermann van Veen hat es vor ein paar Jahren mit seinem Musical „Eines Tages im September“ versucht. Das Denkmal war Zufluchtsort eines verfolgten Mädchens und seiner Mutter und beherbergte die Eule Theofilius, eine Freundin und Ratgeberin. Der Versuch einer positiven Deutung des Herrmanns ist nicht gelungen. Man darf Deutungskämpfe nicht aufgeben, aber auch nicht die Augen vor der Nutzung des Denkmals durch die extreme Rechte verschließen. Ich halte Ideen, die Leuten ein Fragezeichen in den Kopf zeichnen, für wichtig, Gehört das Tragen des ArminiaTrikots dazu? Fußball ist populär, das Trikot bricht aber nicht wirklich mit dem Hermannsmythos. Ich glaube, wenn das Trikot in den Regenbogenfarben gestaltet worden wäre, hätte es einen Schmerzensschrei in der extremen Rechten gegeben, für die gibt es keine Homosexualität und zudem eine eindeutige Rollenzuweisung auf männlich, also Kampf, und weiblich, also Reproduktion. Welche Rolle spielt der Hermann innerhalb von OWL? Es ist ja kein Zufall, dass im Nationalsozialismus dieser wichtige Landtagswahlkampf 1933 hier in Ostwestfalen zu einem Entscheidungswahlkampf aufgebaut und damals schon dieses Schlagwort „Hermannsland“ popularisiert worden ist. Das geht auf die völkische Bewegung der 1920er und auf den Nationalsozialismus der 1930er Jahre zurück. Wir reden in OWL über viele Denkmäler und historische Punkte, die im Sinne der extremen Rechten extrem bedeutend sind. Die Externsteine – für sie ein germanischer Ort mit Sonnenobservatorium, das angeblich beweist, dass die Germanen schon damals kulturell überlegen waren. Die Wewelsburg: Die SS hatte sie zu einem Treffpunkt mit sakralem Charakter ausgebaut. Sie hat bis heute eine hohe Attraktivität und Anziehungskraft für die extreme Rechte – insbesondere der Obergruppenführersaal mit der Bodenintarsie, bei der man eigentlich keine historische Bedeutung erkennt. Sie wird von der extremen Rechten als „Schwarze Sonne“ betitelt und stellt so etwas wie einen Ersatz für das verbotene Hakenkreuz dar. Bis vor einigen Jahren war es so, dass sie dort andächtig drumherum gestanden haben. Warum hat sich das jetzt geändert? Neue orange Sitzsäcke brechen den sakralen Charakter des Raumes. Das zeigt: Es gibt mannigfaltige Möglichkeiten, mit Denkmälern umzugehen, deren Überhöhungen zu brechen. Das könnte man mit Sicherheit auch mit dem Hermannsdenkmal überlegen. Wenn der Hermann dazu dient, als Germane Rassismus zu schüren, dann muss man das etwa mit archäologischen Fakten stoppen. Anders gesagt: Durch Bildung kann man viel zurückholen. Man kann Themen in den richtigen historischen Kontext stellen: durch bauliche Irritationen, durch Informationen. Also müssen wir diesen Mythos nicht unwidersprochen hinnehmen. Bisher ist es allerdings nicht gelungen, Maßnahmen zu ergreifen, um ihn für die extreme Rechte zu dekonstruieren. Sie haben bei einer Diskussion der Landeskirche gesagt, die Gesellschaft sei in der Pflicht, die VerIm November 2018 war es gelungen, eine Versammlung am Hermann zu verhindern, indem gesellschaftliche Gruppen zusammen protestiert hatten. Der damalige AfD-nahe „Alternative Kulturkongress“ hatte dort in der Folge nicht getagt. Foto: Martin Hostert Felix-Fechenbach-Straße 2 • 32756 Detmold • 05231/3077338 • Montag-Samstag 07.00 - 22.00 Uhr 18239801_800125 150 Jahre Hermann 40 SAMSTAG/SONNTAG 9./10. AUGUST 2025

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