Text: Katrin Aissen 19 Heinrich von Kleist stellt 1806 ein Lustspiel fertig, das bis heute ein Beispiel dafür ist, wie Humor sich aufs Schönste verbindet mit einer vielschichtigen und faszinierenden Handlung. Ausgehend von einem Stich, den Kleist fälschlich einer niederländischen Vorlage zuschreibt, will der junge Autor im Wettstreit 1803mit zwei weiteren Dichtern beweisen, dass er auch lustig sein kann. Und genau das schafft er, ebenso beeindruckend wie nachhaltig. Situiert im kleinen niederländischen Dorf Huisum des17. Jahrhunderts begegnet das Publikum einer auf den ersten Blick überaus einfachen Szenerie — gewissermaßen der Kehrseite der damals strahlenden Niederlande. Der Dorfrichter des Orts mit Namen Adam hat sehr konkrete Probleme: Er kämpft am Morgen mit den unangenehmen und schmerzhaften Folgen einer alkoholisierten Nacht. Seine Verletzungen erklärt Adam als Resultat eines Sturzes aus seinem Bett. Dabei ist es kein Zufall, dass Gerichtsschreiber Licht den Fall des biblischen Adams anspricht und anklingen lässt, dass auch in Huisum bald jemand aus seinem Paradies vertrieben werden könnte. Kleist lässt hier — wie auch im gesamten Stück — elegant und witzig das große Ganze im kleinen Konkreten aufscheinen. Für Adam geht es Schlag auf Schlag weiter. Er vermisst, ausgerechnet am Gerichtstag, auch noch seine Amtsperücke. Und dann kündigt sich ihm aus dem ehrgeizigen Munde Lichts überraschend sein Vorgesetzter Walter an, der die Qualität der Rechtsprechung in der Provinz begutachten möchte. Adam muss nun wohl oder übel als Richter unter Beobachtung den folgenden Prozess um einen zerbrochenen Krug führen. In diesem geht es vordergründig »nur« um ein zerbrochenes Gefäß. Was aber schnell deutlich wird, ist, dass dieser Richter hier gegen sich selbst und sein ganzes Herrschafts-System ermitteln muss und eigentlich die Ehre der höchst anständigen Eve auf dem Spiel steht und zunehmend deutlicher wird wie beschädigt sie bereits jetzt ist. Adam schwant schon vor der Verhandlung, dass das für ihn nicht gut ausgehen könnte. Umso bemerkenswerter, dass diese Figur fast bereitwillig mitgeht in ihren Untergang. Er versucht zwar mit allen Mitteln, zu vertuschen, dass es sich bei dem unbekannten Täter der vergangenen Nacht um ihn selbst handelt, wirkt darin aber vielfach wie ein Clown, der sein Gerichts- wie Theater-Publikum mit absurden Ablenkungsmanövern und hanebüchenen Geschichten über Hühner, die »genudelt« werden müssen, eher entertained als ernsthaft, von seiner Unschuld überzeugt. Welche Kollateralschäden Adam in seinem Kampf um seine Stellung bereitwillig in Kauf nimmt, ist ebenso amüsant wie erschreckend. Kleist zeigt so am Beispiel eines niederländischen Dorfgerichts im17. Jahrhundert, was es bedeutet, wenn nicht Recht gesprochen, sondern einzig Macht ausgeübt wird. Und er lässt uns teilhaben an der Show eines verzweifelten Adam, der längst spürt, dass seine männliche Selbstherrlichkeit in der aktuellen Situation unhaltbar geworden und dem mehr als verdienten Untergang geweiht ist. Als Enthüllungsdrama um sexualisierte Gewalt, Machtmissbrauch und Tatsachenverschleierung voll mit abgründigem Humor, stellt Kleist neben der Adam-Show schließlich auch die Frage, wie es denn der geschädigten Eve geht, die lange schweigt und deren endlich erklingende Stimme wichtiger denn je erscheint in einer Gesellschaft, die sich ihrer strukturellen Ungerechtigkeiten zunehmend bewusst wird. Der zerbrochne Krug 12+ von Heinrich von Kleist Regie: Katrin Hentschel Bühne und Kostüm: Jule Dohrn-van rossum Dramaturgie: Max Löwenstein Mit: Stella Hanheide, Patrick Hellenbrand, Leonard Lange, Finn Nachfolger, Elias Nagel, Manuela Stüßer Premiere: Freitag, 21. November 2025, 19:30, Detmolder Sommertheater Weitere Vorstellungen: Do 11.12. / Sa 27.12. / Mi 31.12.2025 (20:30 Uhr) / Sa 10.1. / Mi 14.1. / 16.2. / Mi 18.2. / 19.2. (11:00 Uhr) / Fr 20.2. / So 8.3.2026, jeweils 19:30 Uhr, wenn nicht anders angegeben EinführungsMatinee: So 16.11.2025, 11:30 Uhr, rathaus Detmold, Sitzungssaal NachSpiel — das Publikumsgespräch: Sa 10.1.2026, Detmolder Sommertheater THEATERZEIT!
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