Theaterzeitung_08_2025.pdf

Wie reagiert man als Kind, wenn die eigene Mutter das Leben nicht mehr lebenswert findet? Man schreibt eine Liste mit allem, was in der Welt großartig ist und hofft, dass die Mutter sie liest. 1. Eiscreme, 2. Wasserschlachten, 3. länger als sonst aufbleiben und fernsehen, 4. die Farbe Gelb. Und während das Kind schreibt und hofft, dass die Depression der Mutter aufhört und alles besser wird, wird aus ihm ein junger Mensch, der studiert, sich verliebt, heiratet, sich trennt: ein Mensch, der ein Leben mit allen Höhen und Tiefen lebt und dabei immer wieder einen Anlass findet, die Liste zu füllen. So wächst die Liste zu einem Lebensdokument, das bald eine Million Einträge zählt. Vor Probenbeginn von »All das Schöne« traf sich Dramaturgin Magdalena Brück mit Regisseurin Natascha Mamier und Schauspieler Jan-Niklas Shadan Mavigök, um über das Stück zu sprechen. Magdalena Brück: Wenn man an Kinder- und Jugendtheater denkt, denkt man nicht unbedingt an ein Stück über eine depressive, suizidale Mutter und ihr Kind. Wieso ist es trotzdem oder gerade deswegen ein Stück für junges Publikum? Natascha Mamier: Depression ist ein Thema, das auch Kinder und Jugendliche betrifft. Gerade seit der Corona-Pandemie ist die Anzahl von Depressionen und psychischen Auffälligkeiten unter Jugendlichen stark in die Höhe gegangen. Wir befinden uns in einer großen, schwierigen Weltlage: Es gibt Krieg, der sehr nahe rückt, wirtschaftliche Herausforderungen, die Spaltung zwischen arm und reich wird immer größer, in Europa ist ein politischer Rechtsruck zu verzeichnen. Und in alldem geht es wenig darum, wie wir uns dabei fühlen und was Angst mit uns macht, sondern nur darum, härter durchzugreifen und stark zu sein. Insgesamt wird in unserer Gesellschaft, finde ich, viel zu wenig darüber geredet, wie es uns wirklich geht. Und insbesondere für Jugendliche ist es wichtig, zu lernen, überhaupt über Gefühle reden zu können, und sie auch richtig fühlen zu dürfen—und das passiert vielleicht in Gesprächen zuhause oder mit den besten Freund*innen, aber gesellschaftlich kommt das Thema zu kurz. M. B.: Gerade in Bezug auf »All das Schöne« ist es auch nennenswert, dass nicht jede Familie diese Probleme auffangen kann. In vielen Fällen ist das, was wir im Stück sehen — ein Kind mit einem psychisch erkrankten Elternteil — die Lebensrealität von jungen Menschen. Nicht jede*r erlebt Wie man auch aus kleinen Dingen Kraft schöpfen kann JUNGES THEATER 22 JUNGES THEATER

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