»Es ist der 7. März 2018 in Višegrad, Bosnien und Herzegowina. Großmutter ist siebenundachtzig Jahre alt und elf Jahre alt« — dieser Moment ist die Initialzündung von Saša Stanišićs autobiografisch geprägtem Roman: Seine Oma Kristina verliert den Bezug zur Gegenwart und sieht sich als 11-jähriges Mädchen. Für den Autor Anlass, in die Vergangenheit einzutauchen und sich auf die Suche nach den eigenen Wurzeln zu begeben: 1978 in der Kleinstadt Višegrad im ehemaligen Jugoslawien geboren, flüchtete Saša Stanišić als 14-Jähriger mit seinen Eltern vor dem Bosnienkrieg nach Deutschland und landete im Heidelberg der 90er-Jahre. In seinem 2019 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Roman mischt Stanišić eigene Erinnerungen mit fiktionalen Elementen und schafft eine kaleidoskopartige Welt voll von skurrilen Geschichten. Poetisch, sprachgewaltig und mit feinem Humor fabuliert er von den Abenteuern seiner Kindheit in einem bald verschwindenden Land, seinem Aufwachsen als Jugendlicher in Deutschland, seiner Suche nach Identität und von einer buntgemischten Schar an Ahnen: der Großtante Zagorka, die sich mit 15 Jahren aufmacht, um Kosmonautin zu werden, dem Urgroßvater, der als Flößer nicht schwimmen konnte, und vor allem von der Großmutter Kristina, die mehr und mehr ihre Erinnerungen an die Vergangenheit verliert. Mit seismographischer Genauigkeit beschreibt der Verfasser aber auch, wie sich sein Heimatland immer mehr radikalisiert, wie Brüche zwischen den ethnischen Gruppen auftreten, bis hin zu den blutigen Auseinandersetzungen und der Herrschaft der Gewalt. Regisseur Branko Šimić, geboren in Tuzla, verbindet eigene Lebenserfahrungen mit dem Stoff. Aufgewachsen in Bosnien und Herzegowina, emigrierte er 1992 nach Deutschland und absolvierte ein Regiestudium in Hamburg. In seiner Inszenierung von »Herkunft« legt er zum einen den Schwerpunkt auf die Frage nach der Identität: Was bedeutet Herkunft für unsere Biografie und was prägt uns: die Sprache, die Familie, ein gesellschaftliches System, die Zeitumstände? Zum anderen beschäftigt er sich in seiner Regiearbeit aber auch mit der brisanten Frage: Wie konnte es in einem Land, in dem bis dahin verschiedene Bevölkerungsgruppen friedlich miteinander gelebt hatten, zum Krieg kommen? Was hat den um sich greifenden Nationalismus gestärkt? Was waren die Gründe für die tiefe Spaltung des Landes bis hin zu den eskalierenden ethnischen Konflikten und der Zersplitterung des Staats? Herkunft nach dem Roman von Saša Stanišić Regie, Bühne und Kostüm: Branko Šimić Mitarbeit Bühne und Kostüm: Victoria Unverzagt Dramaturgie: Katrin Aissen Mit: Maja Grahnert, Finn Nachfolger, Alexandra Riemann, Antonije Stankovic Weitere Vorstellungen: Mi 24.9. / Sa 27.9. / So 28.9. / Do 2.10. / Sa 4.10. / So 5.10. / Fr 17.10. / Sa 18.10. / Sa 13.12. / So 28.12.2025 (18:00 Uhr) / So 22.2. / Sa 28.2.2026, jeweils 19:30 Uhr, wenn nicht anders angegeben OberTexte & SubTöne: Mi 8.10.2025, 19:30 Uhr, Buchhandlung »Kafka & Co.« NachSpiel — das Publikumsgespräch: So 28.9.2025 Text: Katrin Aissen 9 THEATERZEIT!
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