Kreis Lippe/Bad Sassendorf. Mehr als zehn Millionen Kleinkinder und Jugendliche sind von 1950 bis in die 1990er Jahre in Deutschland in Erholungsheime öffentlicher, kirchlicher oder privater Träger geschickt worden - viele kamen traumatisiert zurück, erlebten Missachtung oder Misshandlungen.
Besonders viele Fälle gab es in NRW: Von hier aus wurden von 1950 bis etwa 1980 etwa zwei Millionen Kinder verschickt. Und sie kamen auch in hiesigen Heimen unter. So berichten ehemalige Verschickungskinder teilweise auch von traumatischen Erlebnissen und Erinnerungen, die sie bis heute mit ihren Aufenthalten in früheren Salzufler Kinderkurheimen verbinden.
Der Verein "Aufarbeitung Kinderverschickungen-NRW" hat sich zum Ziel gesetzt, diese Geschichten aus NRW-Perspektive aufzuarbeiten und Betroffene zu unterstützen. Er beteiligt sich daher am vierten Kongress "Das Elend der Verschickungskinder", der von der bundesweiten Initiative Verschickungskinder veranstaltet und unter anderem vom NRW-Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales gefördert wird.
Maelzer ist bei Eröffnung mit dabei
Mehr als 100 Teilnehmer sind dazu nach Bad Sassendorf - einem der damaligen Hotspots der Kinderverschickung - gereist, um sich über Vorträge von Wissenschaftlern noch bis 18. September über den aktuellen Forschungsstand zu informieren. Mit bei der Eröffnung dabei war auch der Detmolder Dr. Dennis Maelzer, familienpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag und vor Ort Vertreter des Kreises Lippe.
Er bekräftigte laut Pressemitteilung des Vereins zum Start des Kongresses noch einmal die Notwendigkeit der Aufarbeitung: "Kinderverschickung war zu lange kein Thema für die Politik und für die Öffentlichkeit", so Maelzer. Strukturen zu schaffen, sei die Voraussetzung für die kontinuierliche Beschäftigung mit dem Thema. "Dafür bilden wir einen Runden Tisch, an dem alle Akteure zusammenkommen."
Aufklärung sei keinesfalls nur Sache von Betroffenen, Historikern oder Archivaren, "sondern auch Aufgabe der Institutionen, die in historischer Nachfolge Verantwortung übernehmen müssen", betonte Maelzer. Seine kleine Anfrage an die Landesregierung zum Trauma der Verschickungskinder hatte 2020 eine parteiübergreifende Initiative zur Aufarbeitung im Landtag überhaupt erst ins Rollen gebracht.
10.000 Zeitzeugen-Berichte
Anja Röhl, Gründerin der Bundesinitiative der Verschickungskinder, macht in ihrem Eröffnungsvortrag deutlich, dass sie Unterstützung vom Bund weiterhin einfordere, seit 2019 aber auch viele Fortschritte erzielt worden seien. "Mittlerweile sind unabhängige Wissenschaftler von zehn verschiedenen Universitäten mit Forschungen zum Thema beschäftigt. Darüber hinaus haben wir ein Archiv mit mehr als 10.000 Zeitzeugen-Berichten geschaffen." Zudem hätten bislang 40.000 Menschen die Petition zur Unterstützung der Aufklärung durch den Bund unterschrieben. "90 Prozent der Unterzeichner gaben an, selbst Betroffene zu sein", so Röhl.