Die Wiedervereinigung, die sich morgen zum 20. Mal jährt, und persönliche Freiheit liegen oft dicht beieinander. So wie im Fall von Professor Heizo Schulze. Er flüchtete kurz vor dem Mauerfall in den Westen.
Lemgo. Heizo Schulze betritt die Hochschule in Lemgo. Lederjacke, Turnschuhe, Rucksack. Ein cooler Typ, der eher nach Student höheren Semesters als nach einem Professor aussieht. Seine Schritte sind dynamisch, als er auf den Fahrstuhl zugeht. "Normalerweise nehme ich die Treppen, das ist mein zusätzliches Sportprogramm", lächelt er. In seinem Büro angekommen, entledigt er sich seiner Sachen, setzt sich in einen Sessel, geht kurz in sich und beginnt zu erzählen. Von dem Abenteuer seines Lebens, so wie er den Teil seiner Geschichte bezeichnet.
Heizo Schulze wurde 1967 in Magdeburg geboren. Nach der Flucht aus der DDR verschlug es ihn über das zentrale Auffanglager in Gießen nach Oldenburg und schließlich nach Hannover. Dort studierte er Grafikdesign. Seit 2005 ist er als Professor für audiovisuelle Mediengestaltung an der Hochschule OWL tätig. Er ist Vater zweier Söhne.
Eine Geschichte, die 1967 mit seiner Geburt in Magdeburg beginnt. Als Sohn eines Elektromaschinenbaumeisters, der stirbt, als Heizo Schulze gerade 18 Jahre alt ist. Er sagt von sich selbst: "Ich war immer ein unsteter Geist, unbändig neugierig, was hinter der nächsten Tür steckt und immer auf der Suche nach den Grenzen." Grenzen, die seine Kindheit und Jugend unter der "Käseglocke" prägen. "Mit 17 sah ich die Mauer das erste Mal ganz bewusst in Berlin an der Bernauer Straße. Sie wirkte auf mich absurd, bedrohlich und beängstigend", so der heute 43-Jährige. Dort, auf einem Hügel im östlichen Teil von Berlin, reift sein Entschluss, weg zu wollen. Weg aus dem Grau, das er sich selbst in seiner Ausbildung zum Schrift- und Grafikmaler nicht bunter machen kann. "Die DDR war immer so grau, dass man Angst haben musste, dass es auf den Charakter abfärbt", sagt er. Mit 22 Jahren und der Erkenntnis, sich dort als Gestalter und Künstler nicht entfalten zu können, macht er sich auf den Weg, um seine Grenzen weiter zu setzen. Er nutzt gezielt einen Urlaub in Ungarn, um abzuhauen. Von seiner Familie, von seinen Freunden, ohne Plan, ohne Geld. "Ich hatte nicht einmal einen Kompass. Die Aura des Westens hat einfach alles überstrahlt." Lächelnd fügt er hinzu: "Zugegeben, es gehörte auch eine gehörige Portion Naivität dazu."
Süden heißt die erste Richtung auf seiner Flucht in den Westen. Ziel: die deutsche Botschaft in Belgrad im damaligen Jugoslawien. Hilfe begegnet ihm in Gestalt eines ungarischen Ehepaars, das ihn nachts in die 200 Kilometer entfernte Grenzregion fährt und ihn ermutigt, seinen Weg zu gehen. Heizo Schulze hält inne, zeigt sich berührt: "Das ist der Gedanke an diese Menschen auch nach all den Jahren, die mir halfen und bei denen ich mich nie bedanken konnte, weil ich mein Adressbuch und alles, was mich hätte als Ostbürger verraten können, vernichten musste." Tränen, zu denen der 43-Jährige steht. "Jedes Jahr, wenn ich die Bilder vom Mauerfall am 9. November sehe, weine ich wie ein Schlosshund. Das ist der wirkliche Tag der Befreiung." Befreiung, die seine Flucht knapp fünf Monate zuvor skurril erscheinen lässt. Der Familienvater lacht: "Doch der Mauerfall war damals in meinem Denken nicht drin und der Westen, der war so weit weg wie der Mond."