Lübbecke. Was sich für jede Mutter wie ein schlechter Traum anhört, ist für Lea M. (Name geändert) aus Lübbecke vor drei Jahren Realität geworden. Nachdem sie sich 2013 von ihrem Freund getrennt hatte, hat das Oberlandesgericht (OLG) anhand eines umstrittenen psychologischen Gutachtens entschieden, dass ihre Tochter beim Vater aufwachsen soll – und das obwohl der Mann Drogenkonsum vor Gericht zugegeben hat.
Eineinhalb Jahre war Lea M. mit ihrem damaligen Partner zusammen, als ihre Tochter Maja (Name geändert) Ende 2011 zur Welt kam. Obwohl die Sucht ihres Lebensgefährten die Beziehung belastete, habe die Frau lange gehofft, dass er das Problem in den Griff bekommt. Nachdem ihr Partner eine geplante Entziehungskur nicht angetreten ist, zog Lea M. 2013 mit ihrem Kind in ein Frauenhaus.
Sie bat das Jugendamt, den Kontakt zwischen Vater und Kind zu ermöglichen. Wegen der Drogenproblematik bestand sie aber auf begleitete Kontakte. „Ich hatte keine Ruhe bei der Vorstellung, dass er zusammen mit unserer Tochter im Rausch Auto fahren könnte", sagt sie.
Doch bereits nach dem ersten Gespräch mit dem Elternpaar stand für das Jugendamt fest, dass die Sorgen der Mutter unbegründet seien. Im Gegenteil: Der Vater verstehe die Tochter in ihren Bedürfnissen sehr gut, es sei deutlich zu beobachten, dass das Kind eine enorme Bindung zum Vater habe. Daraufhin muss Lea M. ihre Tochter wöchentlich beim Vater abgeben, auch über Nacht.
„Das Attest wurde gar nicht kommentiert"
Negative Blut-, Urin – und Haarproben, die der Vater freiwillig dem Gericht vorgelegt hat, überzeugten den Richter. Ein Attest mit der Überweisung ihres Ex-Freundes in die Psychiatrie wegen des langjährigen Cannabiskonsums, über das Lea M. verfügte, wurde nicht als Beweismaterial berücksichtigt. Genauso wie ein Foto, auf dem der Kindesvater bei der Fertigung von Haschischzigaretten gezeigt wird. „Das Attest wurde gar nicht kommentiert und auch dem Foto schenkte man keine Aufmerksamkeit", erinnert sich Lea M.. Obwohl das Bild das Gesicht ihres Freundes deutlich zeigt, sei für den Richter fraglich gewesen, ob es sich bei der Aufnahme um ihren Ex-Partner handelt. Einen sofortigen Drogentest im Gericht lehnte der Richter als verfassungswidrig ab.
Ein psychologisches Gutachten mit den Persönlichkeitsprofilen beider Eltern hat ergeben, dass die Mutter an mangelnder Bindungstoleranz leide und den Kontakt zwischen Vater und Tochter untergraben wolle. Obwohl ihr Partner im gleichen Gutachten schriftlich zugegeben hat, in den vergangenen Jahren immer wieder „zur Beruhigung nach den Streitigkeiten" Drogen konsumiert zu haben, entschied das Gericht, das Kind solle zum Vater ziehen.
Ratlos haben Lea M. und ihr Anwalt, Ulrich Schwarze, Beschwerde eingelegt. Werner Leitner erforscht und lehrt Angewandte Psychologie an der IB-Hochschule Berlin. Als renommierter Sachverständiger im Bereich der familienpsychologischen Gutachten hat er das Gutachten analysiert und dort gravierende fachliche Mängel gefunden (siehe unten). Das das OLG Hamm beauftragt daher vor einem Jahr die gleiche Gutachterin, ein Ergänzungsgutachten zu erstellen, um Umgangskontakte beider Eltern festzulegen. Ein Ergebnis steht noch aus.
In einem weiteren Gutachten zur Suchtproblematik des Vaters, sollte festgestellt werden, ob der durch seine Drogensucht überhaupt in der Lage ist, das Aufenthaltsbestimmungsrecht auszuüben. Obwohl der Mann erneut Drogenkonsum vor Gericht zugibt, fällt auch dieses Gutachten für ihn positiv aus. Ein Attest der poliklinischen Psychoambulanz der Universität Osnabrück, die der Mutter bescheinigt keine mangelnde Bindungstoleranz zu haben, wird vor Gericht nicht zugelassen.
Inzwischen darf Lea M. ihre Tochter einmal die Woche und jedes zweite Wochenende sehen. Als gelernte Kinderkrankenschwester glaubt sie zu erkennen, dass sich der Gesundheitszustand ihres Kindes von Tag zu Tag verschlechtert. „Sie wirkt sehr müde und nutzt die Zeit bei mir zum großen Teil zum Schlafen." Ein großer Wunsch des Kindes, den es gegenüber der Verfahrenspflegerin äußere: länger bei der Mutter bleiben zu dürfen.
Matthias Hampel, Anwalt des Kindsvaters, bezeichnet die jetzigen Regelungen hingegen als „großzügig" und ist mit der „mutigen" Entscheidung des Richters zufrieden. Sein Anliegen: die Rechte der Väter stärken. „Warum soll der Vater nicht das Aufenthaltsbestimmungsrecht bekommen, wenn beide Elternteile erziehungsgeeignet sind?" fragt er.
„Bloß weil die Mutter das Kind geboren hat? Das ist in der heutigen Zeit keine Begründung mehr." Der Drogenkonsum seines Mandanten liege in weiter Vergangenheit, von einer Abhängigkeit könne nicht die Rede sein. Bei der psychologischen Unterstützung, die der Mann bekommen hat, handele es sich um eine Rehamaßnahme, die mit seiner beruflichen Tätigkeit als Rettungssanitäter zu tun habe. „Es ist eher die Mutter, die an psychischen Problemen leidet und ihre gescheiterte Beziehung zum Vater auf die Kontakte mit dem Kind projiziert."
Aus Sicht von Lea M. hat das Rechtssystem versagt. Für hilfesuchende Eltern und Kinder biete es keine zuverlässige Unterstützung. Das Verfahren gegen die Gutachterin, das ins Leben gerufen wurde, nachdem Lea M. eine Strafanzeige gegen sie gestellt hatte, hat der Staatsanwalt Anfang April eingestellt.
Umstrittene Gutachten
- „Da Familienrichter in der Regel weder psychologische noch pädagogische Ausbildung haben, bauen sie ihre Entscheidungen in Sorgerechtsverfahren oft auf psychologischen Gutachten mit Persönlichkeitsprofilen beider Eltern auf", erklärt der Leiter des Kreisjugendamtes Minden-Lübbecke, Helmut Poggemöller.
- Theoretisch könne jeder Mensch mit jeder Ausbildung zum Sachverständigen vor Familiengerichten ernannt werden. „Da es kein geschützter Beruf ist, entscheiden die Familienrichter, wen sie beauftragen."
- „Oft werden die Gutachten unter Missachtung wissenschaftlicher und fachlicher Standards erstellt", sagt Werner Leitner, der sich seit 20 Jahren mit dem Thema beschäftigt. „Psychologen sind laut Psychotherapeutengesetz zu Feststellungen über psychische Störungen nur befugt, wenn sie über eine Approbation verfügen. Das ist bei der Gutachtern offensichtlich nicht der Fall und damit gegebenenfalls ein klarer Verstoß gegen das Gesetz", sagt der Experte.