Muslime sind täglich Opfer von Rassismus und Übergriffen - auch in OWL

Anneke Quasdorf

  • 0
Frauen sind oft das Ziel von islamfeindlichen Attacken, weil sie durch das Kopftuch zur Zielscheibe werden.  - © Symbolbild: Pixabay
Frauen sind oft das Ziel von islamfeindlichen Attacken, weil sie durch das Kopftuch zur Zielscheibe werden.  (© Symbolbild: Pixabay)

Erst seit 2017 werden Straftaten mit islamfeindlichem Hintergrund unter politisch motivierter Kriminalität in Deutschland gesondert erfasst. Für 2018 zählt das Innenministerium 910 Vorfälle, eine gegenüber dem Vorjahr gesunkene Zahl. Experten schätzen jedoch, dass das wahre Ausmaß rassistischer Übergriffe und Diskriminierungen dramatisch größer ist - und das gilt auch für OWL.

Wie sich das konkret anfühlt, hat der 24-jährige Student Basel Khamam bereits erlebt. Er stammt aus Syrien, studiert mittlerweile Architektur an der TH Ostwestfalen-Lippe, macht demnächst seinen Abschluss. Vor einiger Zeit wollte er sich in einem Detmolder Fitnessstudio anmelden - und wurde abgelehnt, mit der Begründung, man könne derzeit keine Neuanmeldungen annehmen. "Dabei war ich nur durch eine Promo-Aktion des Clubs an der Uni auf das Studio aufmerksam geworden. Dort werden oft Flyer verteilt, um Neukunden zu gewinnen. Mehrere Kommilitonen von mir wurden dann auch zeitgleich mit meiner Absage angenommen."

Dass antimuslimischer Rassismus in Deutschland immer mehr um sich greift und vor allem gesellschaftsfähiger wird, zeigt eine im Juli veröffentlichte Studie der Bertelsmann-Stiftung. Auch die Zahlen der Leipziger Autoritarismus-Studie der Heinrich-Böll-Stiftung sprechen für sich: Noch vor vier Jahren stimmten demzufolge 36,5 Prozent der Befragten dafür, Muslimen die Zuwanderung in die Bundesrepublik zu verweigern. Im vergangenen Jahr waren es bereits 44,1 Prozent. Bereits jetzt belegen auch die offiziellen Zahlen für NRW für 2019, dass die Zahl islamfeindlicher Straftaten ansteigt. Bis Ende Juli erfasste die Polizei bereits 51 Straftaten - rund 38 Prozent mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum 2018, hier waren es 37.

Tatsächliche Fallzahl acht Mal so hoch

Was den Experten Sorgen bereitet, sind aber nicht die Zahlen, die man kennt. Sondern die anderen. "Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Wir gehen davon aus, dass die tatsächlichen Fallzahlen mindestens acht Mal so hoch sind", sagt Nina Mühe von CLAIM, der vom Bund geförderten Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit mit Sitz in Berlin. Eine Dunkelfeldforschung gebe es in diesem Bereich noch nicht. Und zum anderen sei vielen Betroffenen gar nicht bewusst, dass vieles von dem, was sie im Alltag erlebten, eine Straftat sei, die gemeldet und geahndet werden könne.

Diesen Eindruck hat auch Sophie Brzezinski, Mitarbeiterin der Antidiskriminierungsstelle der AWO OWL, bei der sich auch der Student Basel Khamam gemeldet hat. "Für viele gehören Diskriminierungen so zum Alltag, dass sie sie oft nicht mal mehr thematisieren. Das bedeutet, es gibt eine riesige Dunkelziffer von Übergriffen und Anfeindungen."

Christine Buchholz, religionspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, sieht auch noch ein anderes Problem: Dass nämlich antimuslimische Straftaten von den entsprechenden Stellen nicht als solche eingeordnet und deshalb gar nicht erst erfasst werden. "Ich weiß aus Gesprächen mit zahlreichen muslimischen Frauen, dass sie keine Hilfe bekommen haben, wenn sie sich wegen Angriffen und Beleidigungen gewehrt haben. Hier gibt es eine mangelnde Sensibilisierung in Polizei und Justiz, hier müssen die Mitarbeiter dringend besser qualifiziert werden."

Vor allem Frauen von Gewalt betroffen

Der Fortschritt ist: Mittlerweile sind in der Statistik zu Politisch Motivierter Kriminalität (PMK) Straftaten im Bereich Hasskriminalität immerhin dezidiert erfasst. So gibt es zum Beispiel die Kategorien "antisemitischer Hintergrund", "christenfeindlicher Hintergrund" - und eben auch "islamfeindlicher Hintergrund". Für 2017 wurden hier insgesamt 1.075 Vorfälle erfasst, 2018 waren es 910. Zum Vergleich: Christenfeindliche Straftaten beliefen sich auf 121 im Jahr 2017 und 129 im Jahr 2018.

Vor allem Frauen sind oft betroffen, weil sie wegen des Kopftuches so leicht identifizierbar sind, weiß Gabriele Boos-Niazy, Vorstandsvorsitzende des Aktionsbündnisses muslimischer Frauen in NRW. "Die Anfeindungen haben stark zugenommen. Es herrscht große Verunsicherung bei den Betroffenen. Besonders jüngere Frauen sichern sich zurzeit oft ab, indem sie sich fluchttauglicher anziehen, keine Röcke oder Schuhe mit hohen Absätzen mehr tragen, um im Ernstfall rennen zu können."

Was passiert, wenn man nicht schnell genug rennen kann, zeigen Vorfälle wie der in Berlin Ende Oktober: Unvermittelt packte ein Mann auf offener Straße eine Frau mit Kopftuch, die ihm entgegen kam, an den Armen und trat ihr in den Bauch. Ende August attackierte in Schwerin ein Mann ein 13-jähriges Mädchen. Auch sie trug Kopftuch und musste anschließend mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus gebracht werden. Vorfälle wie diese häufen sich.

"Man steht mit Kopftuch immer im Fokus"

Was es bedeutet, sich mit Kopftuch auf offener Straße zu bewegen, weiß Boos-Niazy selbst. "Man steht immer im Fokus. Die Menschen um einen herum nehmen einen immer gesondert wahr - mal besonders aggressiv und feindselig, mal besonders freundlich, aber immer besonders. Und man fühlt immer den Druck, beweisen zu müssen, dass man dazugehört - trotz des Kopftuchs."

Kritisch nimmt das Aktionsbündnis in diesem Zusammenhang die Haltung der Politik wahr. „Mit Vorgaben wie dem derzeit geplanten Verbot religiöser Zeichen in der Justiz wird doch ganz klar suggeriert, dass es legitim ist, Vorbehalte und Ängste zu haben. Das hat mit Neutralität nichts zu tun. Sondern da werden vorurteilsbehaftete Horizonte als Maßstab für die Ausrichtung von Religionsfreiheit genommen. Und das ist fatal."

Das sieht auch Linken-Politikerin Buchholz so. Sie hat deshalb eine Große Anfrage an die Bundesregierung gestellt, in der sie fordert, antimuslimischem Rassismus ein wesentlich höheres Maß an Aufmerksamkeit und Anerkennung zukommen zu lassen. "Wir wollen wissen, wie die Regierung die ausführlichen Studien und Erfahrungsberichte von Antidiskriminierungsstellen, Initativen und Verbänden bewertet. Diese klagen über massive Diskriminierungen."

Vom Türsteher grundlos abgelehnt

Eine Forderung, der sich Basel Khamam wohl sofort anschließen würde - vor allem nach seinem zweiten Erlebnis, bei der ihm ein Türsteher eines Detmolder Clubs den Zutritt verwehrte. "Er schaute sich meinen Aufenthaltstitel an und fragte sofort: Verstehst du überhaupt unsere Sprache?! Ich antwortete: Natürlich. Und falls Sie mein Geburtsdatum suchen, das steht auf der Rückseite. Er entgegnete daraufhin, dass ich gehen solle. Ich forderte von ihm eine Begründung. Daraufhin sagte er nur, ich solle verschwinden, sonst würde er mich die Treppe herunterschmeißen."

Für Khamam sind solche Erlebnisse sehr schmerzhaft. "Das hat mich tagelang beschäftigt. Ich bin seit vier Jahren in Deutschland, habe einen großen Freundeskreis, spreche die Sprache fließend, das ist jetzt meine Heimat. Aber so was zu erleben, fühlt sich an, als ob man nochmal entwurzelt würde. Ich würde solchen Menschen gern mal sagen: Ich habe mich intensiv mit der deutschen Geschichte und Kultur beschäftigt, kenne die Dichter und Denker, die Bäume, die im Wald wachsen. Kennst du die auch?"

Copyright © Lippische Landes-Zeitung 2023
Inhalte von lz.de sind urheberrechtlich geschützt.
Weiterverwendung nur mit Genehmigung der Chefredaktion.

Kommentare