Studie: Kein offener Antisemitismus, aber Stereotype

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Eine Schülerin meldet sich im Unterricht. - © Marijan Murat/dpa/Symbolbild
Eine Schülerin meldet sich im Unterricht. (© Marijan Murat/dpa/Symbolbild)

Eine Studie zur Darstellung des Judentums in nordrhein-westfälischen Schulbüchern hat keinen beabsichtigten Antisemitismus, aber Stereotype zutage gefördert. Ein pauschales Urteil sei nicht möglich, heißt es in dem am Mittwoch im Schulausschuss des Landtags vorgestellten Abschlussbericht. «Sehr guten» Darstellungen der jüdischen Geschichte, Kultur und Religion stünden einige «problematische Befunde» - teils in ein und demselben Schulbuch - gegenüber. NRW ist nach Angaben des Zentralrats der Juden das erste Bundesland, das eine ausführliche Studie zu Antisemitismus in Schulbüchern vorlegt.

«Wir sind auf keinen intendierten Antisemitismus, also keine offene Judenfeindschaft in den Schulbüchern gestoßen», sagte Dirk Sadowski vom Georg-Eckert-Institut - Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung (GEI). «Das wäre auch skandalös gewesen.» Aber Antisemitismus äußere sich nicht nur offen, sondern könne sich auch oft unbewusst und sehr subtil äußern. «Er ist latent in unserer Gesellschaft vorhanden.»

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So finde man in NRW-Schulbüchern stereotype Überzeichnungen und Klischees wie etwa bei der Darstellung des Judentums im Mittelalter, wo als «Hauptberuf» den Juden der Geldverleih gegen Zins zugeschrieben werde. Schon seit langem kritisierten Forscher die Verbindung von Juden und Geld. «Das sind Bilder, die antisemitische Vorurteile bestärken können.»

Kritisiert wird auch, dass die Darstellung des Nahost-Konflikts oft nicht dessen Komplexität gerecht werde. Israel werde weiterhin als vor allem kriegführender Krisenstaat und Besatzungsmacht im Nahen Osten dargestellt. Unter den Geschichtsbüchern fanden die Forscher nur zwei Werke, in denen Israel nicht ausschließlich mit dem Nahost-Konflikt in Verbindung gebracht wurde.

In zwei bis drei Büchern sei auch ein «deutliches Echo antijüdischer Vorurteile» gefunden worden, sagte Sadowski. Oft fehle zudem eine sprachliche Sensibilität, wenn etwa Walter Rathenau, der Außenminister der Weimarer Republik, als «jüdischer Außenminister» bezeichnet werde, obwohl er der deutsche Außenminister war. Oft fehle auch die Einordnung von Quellen wie antisemitischen Karikaturen aus dem Kaiserreich oder von Propaganda-Plakaten der NS-Zeit.

Jüdische Geschichte wird nach Worten Sadowskis vor allem als Geschichte von Verfolgung dargestellt. Der jüdische Widerstand gegen die Nationalsozialisten komme zum Beispiel weniger zum Tragen. Auch kämen oft nur die Täter zu Wort, nicht aber die Betroffenen. Inzwischen hätten sich die Darstellungen zum Judentum in vielen neueren Schulbüchern aber verbessert, sagte Sadowski. Auf Antisemitismus in der Pop-Jugendkultur, etwa in deutschen Rap-Songs geht im übrigen nur ein neueres Geschichtsbuch ein.

Die Studie war nach einer Schulbuch-Kritik des Zentralrats der Juden in Deutschland 2018 noch von dem damaligen NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) in Auftrag gegeben worden. Insgesamt wurden 252 NRW-Schulbücher aus verschieden Fächern von Geschichte über Geografie bis zu Politik und Religion in beiden Sekundarstufen auf ihre Inhalte geprüft.

«Die Ergebnisse decken sich mit unseren Wahrnehmungen auch von Lehrbüchern der anderen Länder und es gilt nun, schnellstmöglich Korrekturen vorzunehmen», sagte Zentralratspräsident Josef Schuster der Deutschen Presse-Agentur. «Häufig bekräftigen die antisemitischen Narrative in den Lehrbüchern das, was über Generation hinweg tradiert wurde und Jugendliche in den sozialen Medien zum Teil als Verschwörungserzählungen hören», so Schuster. Dabei sollte Bildung eigentlich ein wirksames Mittel gegen Antisemitismus und Ressentiments gegen Minderheiten allgemein sein. Die Bücher müssen korrigiert und Autorinnen und Autoren sowie Redaktionen geschult werden, um Antisemitismus zu erkennen. «Im besten Fall werden betroffene Bücher aktualisiert und in den Schulbibliotheken ersetzt.»

NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) kündigte für Ende März oder Anfang April an, die Ergebnisse der Studie auf einer gemeinsamen Veranstaltung des Ministeriums mit der Antisemitismusbeauftragten, dem Zentralrat der Juden und dem Verband Bildungsmedien zu bearbeiten und weitere präventive Maßnahmen zu entwickeln. «Die Landesregierung nimmt die Ergebnisse der Untersuchung sehr ernst», sagte Feller. «Schulbücher, die an unseren Schulen eingesetzt werden, dürfen in keinem Fall antisemitische Einstellungen befördern oder stereotype Vorstellungen tradieren.»

Auch bei Lernplattformen im Netz müsse für das Thema Antisemitismus sensibilisiert werden, sagte Feller. Frei zugängliche und nicht vom Land NRW erstellte Plattformen seien nicht alle zu kontrollieren. Da könne es durchaus sein, «dass dann plötzlich auf einer solchen Seite ein antisemitischer Text auftaucht». Den Schülerinnen und Schüler müssten aber auch die Kompetenz vermittelt werden, mit solchen Quellen im Internet umzugehen.

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