150 Kilo Sprengstoff sollen am Sonntag die gigantische A45-Talbrücke Rahmede zum Einsturz bringen. Die seit Dezember 2021 gesperrte Brücke an der wichtigen «Sauerlandlinie» (Frankfurt-Dortmund) ist längst zum traurigen Symbol für den Zustand der Infrastruktur in Nordrhein-Westfalen geworden. Mit der Sprengung und dem geplanten Neubau der Brücke mag das Rahmede-Problem gelöst werden. In der Politik könnte das Brücken-Debakel noch längere Zeit Zündstoff bergen. Denn wenige Tage vor dem Sprengungstermin nahm am Donnerstag der Untersuchungsausschuss des NRW-Landtags zur Aufarbeitung des Brückendesasters seine Arbeit auf. Durchgesetzt hatten das Gremium, das gerichtsähnliche Befugnisse hat, die Oppositionsfraktionen von SPD und FDP. Besonders die SPD hat ihre Stoßrichtung bereits mehrmals deutlich gemacht. Sie will vor allem die Rolle des früheren Verkehrsministers Hendrik Wüst unter die Lupe nehmen. Wüst war von 2017 bis Oktober 2021 NRW-Verkehrsminister. Seit eineinhalb Jahren ist er Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Landes und regiert geräuschlos die erste schwarz-grüne Koalition in NRW. Auch bundesweit steht der 47-Jährige unter Beobachtung. Längst gibt es Spekulationen, dass Wüst Kanzlerkandidat bei der Bundestagswahl 2025 werden könnte. Mit dem Brücken-U-Ausschuss hofft die Opposition wohl auch, das Image des CDU-Regierungschefs ankratzen zu können. Wüst sitzt ein Jahr nach der Landtagswahl fest im Sattel, während die SPD in Umfragen weiter in einem historischen Umfragetief dümpelt. «Hendrik Wüst hat bislang keine Erklärung dafür geliefert, wie es in seiner Amtszeit als Verkehrsminister zur Verschiebung eines rechtzeitigen Neubaus der Brücke gekommen ist», sagte SPD-Obmann Gordan Dudas aus Lüdenscheid. Jeden Tag quälen sich wegen der Brückensperrung Tausende Lastwagen und Autos durch die Stadt und ihre Umgebung. Die Menschen leiden unter Lärm, Abgasen und Dauerstau. Dass es Mängel an der Rahmede-Brücke gab, war schon über Jahre bekannt. In der Amtszeit des damaligen SPD-Verkehrsministers Michael Groschek wurde 2014/15 ein Neubau beschlossen. Bis 2017 habe der avisierte Neubautermin gestanden, dann sei er nach hinten geschoben worden, sagte Dudas. Bis heute sei nicht geklärt, «wer wann diese Entscheidung getroffen hat». Das werde einer der wichtigsten Punkte des Ausschusses sein. Als schließlich per Laser-Scan-Messung schwerwiegende Risse und Schäden an der Brücke entdeckt wurden, musste sie Ende 2021 gesperrt werden, ohne dass ein Neubau bereitstand. So ein «Desaster» dürfe sich in NRW nicht wiederholen, sagte Dudas. Wüst war bereits im Februar in einer dreieinhalbstündigen Sitzung des Verkehrsausschusses befragt worden. Er räumte zwar Fehler im Vorfeld der Vollsperrung der Rahmede-Talbrücke ein, verneinte aber persönliche Versäumnisse aus seiner Amtszeit als Verkehrsminister. Aus heutiger Sicht sei die Entscheidung falsch gewesen, die Brücke nicht zu verstärken oder zu sanieren, sondern auf einen Neubau zu warten, hatte Wüst gesagt. Diese Entscheidung sei aber 2014 getroffen worden - noch vor seiner Amtszeit. Wüst hatte auch den Vorwurf zurückgewiesen, Einfluss auf die Entscheidungen genommen zu haben. Verantwortlich für die Beurteilung des Brückenzustandes seien Fachleute. Ebenso wie die Direktorin der Niederlassung Westfalen der Autobahn GmbH, Elfriede Sauerwein-Braksiek, erklärte Wüst, dass die Fachleute den Zustand der Brücke bei regelmäßigen Checks über Jahre hinweg immer als befriedigend bewertet hätten. Die Opposition bezweifelt dagegen, dass die Spitze des Verkehrsministeriums damals nicht in das Rahmede-Problem involviert war. Allerdings sind Mails zwischen der NRW-Staatskanzlei und dem damals von Wüst geführten Verkehrsministerium gelöscht worden. «Gelöschte E-Mails, eine nicht endende Salamitaktik, ausweichende Antworten und die fehlende Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen haben den PUA geradezu erzwungen», sagt der FDP-Obmann Christof Rasche. PUA steht für Parlamentarischer Untersuchungsausschuss. Pikant ist: Die Opposition hat den Beginn des Untersuchungsauftrags des Ausschusses genau auf den Beginn der CDU-Regierungszeit im Sommer 2017 festgelegt. So werden mögliche Versäumnisse der früheren SPD-Regierung ausgeklammert - sehr zum Ärger der CDU, die der SPD vorwirft, den Ausschuss als Wahlkampfinstrument nutzen zu wollen. Der Ausschuss soll sich neben der Rahmede-Talbrücke auch insgesamt mit der Brückeninfrastruktur in NRW befassen. Allein bei den Autobahnbrücken sind 873 Teilbauwerke sanierungsbedürftig. Fünf Themenkomplexe mit mehr als 50 Fragen soll der Ausschuss behandeln. Auf die Mitglieder warten Aktenberge. Bis Wüst und andere Minister als Zeugen vernommen werden, dürften noch Monate vergehen. Der U-Ausschuss werde etwa alle drei Wochen tagen, sagte der Vorsitzende Stefan Engstfeld von den Grünen. Vor der Sommerpause will das Gremium zunächst Sachverständige hören. Nach den Ferien wollen die Mitglieder sich vor Ort ein Bild machen. Von der Rahmede-Brücke wird dann nichts mehr zu sehen sein.