Höxter. Mit einem lauten Gong geht um 5.30 Uhr die Nacht für alle Häftlinge in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bielefeld-Brackwede zu Ende. Wer hier landet, ist abgeschottet von der Außenwelt, ohne Möglichkeit, sich frei zu bewegen. Auch Angelika W. wird seit dem 28. April jeden Morgen pünktlich geweckt. Die 47-jährige Frau sitzt seit dieser Zeit dort in Untersuchungshaft und wartet auf ihr Urteil. Sie ist wegen Mordes durch Unterlassen und mehrfacher Körperverletzung angeklagt.
Ein Stuhl, ein Tisch, ein Bett, ein Schrank, eine nicht abgetrennte Toilette, so spielt sich jetzt das Leben der Angeklagten ab, die anderen Frauen unsägliche Qualen und Leid zugefügt haben soll. Weil sie noch nicht rechtskräftig verurteilt ist, gilt für Angelika W. weiterhin die Unschuldsvermutung. Damit werden noch keine Resozialisierungsversuche unternommen, es besteht keine Arbeitspflicht, und die Angeklagte darf ihre Privatkleidung tragen.
„Sie ist weitgehend unauffällig", sagt Uwe Nelle-Cornelsen, Leiter der JVA. Von einer unberechenbaren Bestie zum Vorzeigehäftling, das scheint ein weiter Weg, aber vielleicht ist er tatsächlich möglich. In einem psychiatrischen Gutachten heißt es, dass ihr höfliches Miteinander und ihre normalen Manieren an früher erinnerten. Gemeint ist damit die Zeit vor dem Kennenlernen ihres Partners und Komplizen Wilfried W. Das Heute und das Früher seien vergleichbar.
Dazwischen lag das Leben mit Wilfried W., in dem sie eine andere Person gewesen sei, für die andere Gesetze und Regeln, ein anderes Handeln und Denken gegolten habe. Das Leben in der JVA, so Angelika W., sei geprägt von Freundlichkeit der sie umgebenen Menschen. Sie könne wieder selbst frei entscheiden, zum Beispiel über einen Toilettengang. Hier und da sei sie allerdings von Mithäftlingen schlecht behandelt worden.
„Das Leben hinter Gittern empfindet meine Mandantin als gewissermaßen paradiesisch", bestätigt Strafverteidiger Peter Wüller Aussagen, die sich im psychiatrischen Gutachten über Angelika W. finden. Von seinem letzten Besuch in der JVA hat er einen Weihnachtsstern mitgebracht, den seine Mandantin für ihn gebastelt hat. Fast jeden Tag arbeitet sie freiwillig im Rahmen einer Beschäftigungstherapie in Arbeitsgruppen mit, um der Langeweile zu entkommen. Sie bastelt Schmuck für den Weihnachtsbaum und bemalt Holzspielzeug. Regelmäßig besucht sie am Sonntag den Gottesdienst. Einen Fernsehapparat braucht sie nicht, dafür verschlingt sie eine Unmenge an Büchern und liebt das Schreiben endloser Briefe. Der schriftliche Kontakt mit ihrer Mutter ist rege. Viele Menschen, die sie aus ihrer Jugendzeit kennen, schicken ihr Post.
Bis vor ein paar Monaten hatte Angelika W. in einer Gruppe von Frauen das Häkeln und Stricken gelernt. Zu der Zeit saß die Angeklagte noch in einer Doppelzelle. Schnell ging durch die Anstalt, dass es sich bei ihr um eine wegen Doppelmordes Angeklagte handelt. Ihr schlug Ablehnung entgegen. Man nannte sie kurz nur noch „Höxter", sie soll getreten, geschlagen und bespuckt worden sein. Eine Frau wurde danach in eine andere JVA verlegt. Angelika W. rechnet mit einer langen Haftstrafe und sie scheint darauf vorbereitet zu sein.
Der nächste Prozesstag
- Vor dem Schwurgericht Paderborn wird am 30. November um 9 Uhr die Verhandlung fortgesetzt.
- Bernd Emminghaus, Vorsitzender Richter, wird Angelika W. weiter zu den von ihr begangenen Taten befragen.
- Peter Wüller, Strafverteidiger von Angelika W., wird für seine Mandantin zwei Erklärungen verlesen.
- Angelika W. will darlegen, warum ihre Aussagen zu den Quälereien emotions- und empathielos und damit für Außenstehende befremdlich klingen.
- Sie will berichten, warum sie sich für eine umfangreiche Aussage, für einen „reinen Tisch", entschlossen hat.