Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Bruno Ganz sucht bei "Wege durch das Land" nach der Hoffnung

Der Schauspieler liest aus Vollmanns Roman „Europe Central“. Der Krieg und die Musik stehen im Landestheater im thematischen Mittelpunkt

Andreas Schwabe

  • 0
Macht den Roman hörbar: Bruno Ganz liest im Landestheater aus „Europe Central" von William T. Vollmann, in dem Dimitri Schostakowitsch eine zentrale Rolle spielt. - © Andreas Schwabe
Macht den Roman hörbar: Bruno Ganz liest im Landestheater aus „Europe Central" von William T. Vollmann, in dem Dimitri Schostakowitsch eine zentrale Rolle spielt. (© Andreas Schwabe)

Detmold. William T. Vollmanns Roman „Europe Central" wird oft als literarisch ebenbürtig mit Leo Tolstois „Krieg und Frieden" beschrieben. Bruno Ganz hat diesem Jahrhundertroman eine angemessene Stimme verliehen. Der Schauspieler trat in der Reihe „Wege durch das Land" im Detmolder Landestheater auf. 

Dimitri Schostakowitsch, der Komponist, der wie kein anderer den Tanz auf dem Hochseil zwischen Pathos und Groteske vollführte, ist eine der zentralen Figuren in diesem Roman. Daher wurde die Lesung auch musikalisch entsprechend umrahmt.

Bruno Ganz und das Delian Quartett näherten sich auf begeisternde Weise dem Verhältnis zwischen Musik und Krieg. Denn: Schostakowitschs Streichquartette sind nicht schön, sondern Ausdruck von Trauer, Verzweiflung, Irrwitz. Sie sind wahrhaftig in ihrem Wahnsinn angesichts einer wahnsinnigen Welt, die in den Weltkriegen alle Menschlichkeit und Millionen Menschen selbst ausgemerzt hat. Schostakowitsch (1906-1975) hat all das durchlebt – die Kriege, den real existierenden Stalinismus. Er hat im zerbombten Konservatorium über Musik nachgedacht, während er den Anflug der nächsten Bomber schon hörte, und hat die absurden Anschuldigungen von diversen Kulturschergen des Sozialismus über sich ergehen lassen müssen.

Zuschauer spenden stehend Applaus

Vergleichbar dem braven Soldaten Schwejk schlingert die Romanfigur Schostakowitsch durch das ausgewählte Kapitel, das Bruno Ganz vorlas. In einer herausragenden, sich gegenseitig erhellenden Begegnung von Literatur und Musik wurde dabei die absurde Hoffnung auf eine andere Welt hörbar – hörbar, weil Bruno Ganz sie hörbar machte. Ganz verlieh dem Text eine Wucht gerade dadurch, dass er eine scheinbar lapidare Sprache einsetzte, die einzig dem Schostakowitsch mit einer Fistelstimme etwas Clowneskes verlieh. Und seine Hände „sprachen" mit. Zum Beispiel in einer Szene, in der sich Schostakowitsch vor Stalins Kulturschergen mit rhetorischen Floskeln zu schützen sucht – da suchten Ganz’ Hände hilflos tastend Schutz in den Taschen seines Jacketts.

Gefühlvoll waren einzelne Sätze aus op. 73, op. 83 und op. 110, sowie Auszüge aus Theater- und Filmmusik in den Text hineingeflochten worden. Von den vier Streichern des Delian Quartetts wurde das herausragend interpretiert. Sie verliehen dieser Musik einen Ausdruck der Trauer, die auch Hoffnung zu wecken wusste. Begeisterter Applaus im ausverkauften Landestheater war die zwingende Folge eines unvergesslichen Abends.

Copyright © Lippische Landes-Zeitung 2025
Inhalte von lz.de sind urheberrechtlich geschützt.
Weiterverwendung nur mit Genehmigung der Chefredaktion.