Bad Salzuflen-Wüsten. 150 Patienten an einem Tag suchen die Praxis von Nashwan Mohammed in Wüsten auf. „In diesem Monat waren es bereits um die 800", sagt der junge Arzt. Die Grippewelle sei dafür unter anderem verantwortlich – und viele Patienten wollen ihn erst einmal kennenlernen. Anfang Februar hat Mohammed die Praxis von Dr. Helmut Feucker übernommen.
„Während meines Medizinstudiums im Jemen haben meine Professoren schon von Deutschland geschwärmt", sagt Nashwan Mohammed. „Da habe ich mir überlegt: Wenn ich fertig bin, will ich auch dahin." Gesagt, getan. Vor acht Jahren zog der heute 37-Jährige nach Berlin, lernte erst einmal die Sprache. „Das erste halbe Jahr war eine Katastrophe", sagt der Arzt. In Deutschland hat Mohammed auch seinen Facharzt für Allgemeinmedizin gemacht.
Nashwan Mohammed hat sich bundesweit zehn Praxen angeguckt, bevor er sich für Wüsten entschieden hat. Zuvor arbeitete der Arzt in einer Gemeinschaftspraxis im sauerländischen Menden. „Bei der Wahl der richtigen Praxis gab es ganz klare Kriterien für mich", sagt Mohammed. Sie sollte wirtschaftlich gut geführt, modern sein und sich in einer guten Lage befinden.
Alle diese Punkte habe die Praxis von Dr. Feucker erfüllt. Wüsten mache einen sehr guten Eindruck auf ihn, betont der Neubürger Mohammed. Abgesehen von der Wohnungssuche. „Ich habe zwei Monate lang gesucht, musste aber letztendlich nach Bielefeld ziehen", sagt Mohammed.
Die Einen wollten keinen Hausarzt als Mieter haben – der suche sich ja eh bald ein Haus und würde nur kurz bleiben. Die anderen hofften, in Nashwan Mohammed einen Asylsuchenden gefunden zu haben – dafür gebe es für Vermieter einen finanziellen Zuschuss. Nun pendelt der Arzt – eine Übergangslösung.

Zusammen mit der Praxis ist auch die bestehende Kooperation mit dem evangelischen Stift Wüsten an den jungen Arzt übergegangen. Zwei Mal in der Woche wird er dort wie sein Vorgänger auf einer Visite die Bewohner besuchen und ihnen als Hausarzt zur Verfügung stehen. Das hat mehrere Vorteile. Dr. Helmut Feucker sagt: „Als Allgemeinmediziner arbeitet man mit den Patienten quasi ein Leben lang, man versorgt ganze Generationen. Dadurch schafft man Vertrauen."
Etwas, das auch vom Pflegepersonal der Einrichtung geschätzt wird. „Gerade in der Palliativ-Medizin ist es wichtig, dass auch jemand da ist, der sagt, was möglich ist und was nicht", sagt Heimleiter Christoph Fritsche. Zudem sei es einem Hausarzt möglich, mehrere Krankheiten auf einmal im Blick zu behalten.
Den größten Unterschied zu seiner Heimat sieht Nashwan Mohammed in den Sozialsystemen. „Krankenkassen gibt es im Jemen nur für wohlhabende Leute", sagt er. Der Rest müsse selbst zahlen. In der praktischen Arbeit als Mediziner gebe es aber nur wenig Unterschiede.
Was sich der Arzt für seine neue Praxis wünscht? „Das alles so gut bleibt wie zuvor bei Dr. Feucker. Dass die Patienten sich gut betreut fühlen und die Kollegen und Mitarbeiter zufrieden sind."
Und wie geht es für Dr. Helmut Feucker weiter? Der 67-jährige Mediziner hat große Pläne für die Zeit als Rentner. „Ich habe die Wanderschuhe schon an", sagt er schmunzelnd. Er wolle sich nun Zeit für seine sechs Enkel nehmen, die in ganz Deutschland verteilt wohnen und sein großes Hobby, die Fotografie, ausleben.
Fast 40 Prozent der Salzufler Hausärzte sind älter als 60 Jahre
Hausärzte arbeiten rund um die Uhr und verdienen viel zu wenig – zwei Klischees, denen Dr. Helmut Feucker vehement widerspricht. 33 Jahre lang hat der Mediziner als Hausarzt in Wüsten praktiziert. Er hat mit Nashwan Mohammed seine Nachfolge geregelt – etwas, das anderen Ärzten künftig schwer fallen könnte.
Laut der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe kommen auf 53.341 Einwohner in Bad Salzuflen 31 Hausärzte. Das entspricht einem Versorgungsgrad von 89,9 Prozent. Sprich: ein Arzt für 1720 Bewohner. Im bundesweiten Schnitt liegt das Verhältnis bei 1671 Einwohner je Arzt.
Stimmt die Relation von Arzt und Patienten mit der gesetzlichen Vorgabe überein, so beträgt der Versorgungsgrad genau 100 Prozent. Bei der hausärztlichen Versorgung spricht man ab 75 Prozent abwärts von einer Unterversorgung, ab einem Versorgungsgrad von 110 Prozent von einer Überversorgung.
Mit 89,9 Prozent liegt Bad Salzuflen in Lippe im unteren Mittelfeld der Versorgung. Horn-Bad Meinberg ist mit 126,6 Prozent Spitzenreiter, Lemgo steht am Ende der Liste mit 82,8 Prozent. „Aktuell ist die hausärztliche Versorgung insgesamt als stabil zu bezeichnen", heißt es seitens der Kassenärztlichen Vereinigung.
Zu beachten sei allerdings die Altersstruktur der Hausärzte. In Bad Salzuflen sind fast 40 Prozent der Hausärzte bereits über 60 Jahre alt, davon knapp zehn Prozent bereits über 70. Viele dieser Ärzte dürften in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen und einen Nachfolger für ihre Praxis suchen.
„Angesichts der schwierigen Nachwuchssituation könnte sich dies jedoch problematisch gestalten", heißt es weiter. Ein Problem, dass auch Dr. Helmut Feucker sieht. „Gut 70 Prozent der Medizinstudenten sind Frauen. Viele wollen eine eigene Familie gründen und sich daher nicht selbstständig machen, sondern in eine Gemeinschaftspraxis gehen", sagt der Arzt.
Außerdem haben viele junge Ärzte immer noch verstaubte Klischees im Kopf, meint Dr. Feucker. „Wer sich gut organisiert, kann gutes Geld verdienen. Eine Praxis ist auch ein Geschäft." Betriebswirtschaftlich zu arbeiten und Interesse an den Patienten zu zeigen, seien ein Rezept, auf das Verlass sei.
Versorgungsbereiche der lippischen Hausärzte
In dieser interaktiven Grafik erfahren Sie, wie viele Hausärzte auf die Einwohner der jeweiligen Versogrungsbereiche in Lippe kommen. Fahren Sie einfach über die Punkte der Karte.