Talibanisierung oder Demokratie? Bad Salzufler blicken mit gemischten Gefühlen auf Syrien

Bad Salzuflen. 34 Jahre ist es her, dass Kanawati Kamo seine syrische Heimat verlassen musste. Im kommenden Jahr plant der 68-Jährige, mit seinen beiden erwachsenen Kindern und seiner Frau das Land nach dem Sturz des Assad-Regimes zum ersten Mal seit seiner Flucht wieder zu besuchen.

Kamo hat viele Jahre Menschen im Migranten- und Flüchtlingsbüro der Kirchengemeinden in Bad Salzuflen beraten. Er selbst kam ebenfalls als politischer Flüchtling nach Deutschland. &bdquo;In Damaskus habe ich mit anderen eine Organisation für Menschenrechte gegründet“, berichtet er. Damals war er in seinen 30ern.

Die Repression des Regimes ließ nicht lange auf sich warten, wie er erzählt. &bdquo;Viele meiner Freunde wurden inhaftiert.“ Er konnte mit Frau und Kindern rechtzeitig entkommen. Das Schicksal seiner ursprünglichen Heimat verfolgt der syrische Kurde seitdem aus der Ferne, Teile seiner Familie leben bis heute dort.

Und wie blickt er auf das Land nach dem Sturz Assads? &bdquo;Ich habe große Hoffnung, dass das syrische Volk in Demokratie seine Ziele erreicht“, sagt er. Vor ein paar Tagen habe er mit einem Freund telefoniert, der elf Jahre in Assads Kerkern saß. &bdquo;Er konnte kaum sprechen und hat vor Glück über den Sturz Assads geweint, so wie ich auch.“

Setzen auf die Bevölkerung Er setzt vor allem darauf, dass die syrische Bevölkerung es nicht zulässt, dass die islamistischen Rebellen um die Gruppe Hayat Tahrir al-Scham ein islamistisches Regime installieren. &bdquo;Man wird sehen müssen, wie sie mit Frauen, mit Minderheiten, Menschenrechten und mit uns Kurden umgehen“, sagt Kamo. Er erinnert daran, dass es nicht nur die Islamisten waren, die Assad gestürzt haben. &bdquo;Es waren viele Gruppen beteiligt, auch wir Kurden.“

Wenn er dem Westen und der internationalen Gemeinschaft einen Rat geben dürfte, dann den, Hilfe für Syrien an konkrete Bedingungen zu stellen und so Druck auszuüben, dass sich das Land in eine demokratische Richtung bewegt. &bdquo;Das geht natürlich nicht von jetzt auf gleich“, sagt er, aber die Richtung müsse stimmen. Natürlich wünsche er sich, dass Syrien eine Demokratie wird. &bdquo;Wie in Deutschland“, sagt er, der seit 1998 deutscher Staatsbürger ist. Er wünscht sich ein Syrien, in dem Staat und Religion getrennt sind, wo man frei seine Meinung sagen darf.

Nicht viele werden zurückgehen Glaubt er, dass viele Syrer, die in Deutschland leben, zurückkehren werden? &bdquo;Ich glaube nicht so viele“, sagt er. &bdquo;Viele haben hier ihre Kinder, die zur Schule gehen, sie haben sich hier eingelebt.“ Das sei im Übrigen auch besser für Deutschland. &bdquo;Wenn ich hier in ein Krankenhaus gehe, treffe ich viele Syrer, die dort arbeiten.“

Einen düsteren Blick auf die Zukunft seines Herkunftslands hat Perwer Shamoo. Für ihn ist es schon mehr oder weniger sicher, in welche Richtung sich Syrien entwickeln wird. &bdquo;Es wird eine Talibanisierung geben“, sagt der 60-jährige Bad Salzufler, der Vorsitzender des Integrationsrats der Salzestadt ist. Wie Kamo ist auch er Kurde, geboren im Irak, aber aufgewachsen in Syrien, später vor dem Assad-Regime zunächst nach Russland, dann nach Schweden geflüchtet. Die Arbeit habe ihn schließlich nach Deutschland geführt.

Bei sich auf dem Handy hat er Screenshots aus den sozialen Netzwerken gespeichert. Sie sollen zeigen, wie die siegreichen Islamisten Alkoholflaschen an einem Flughafen in Syrien zerstören. &bdquo;Welcome to Afghanistan“, hat der Absender darübergeschrieben – eine Anspielung auf die Taliban.

Auf der Flucht &bdquo;Frauen posten auf TikTok, dass sie von den Rebellen bedrängt werden, weil sie kein Kopftuch tragen“, sagt Shamoo. Kurdische Jesiden und andere Minderheiten in Syrien seien bereits in Teilen auf der Flucht vor den Islamisten. Daran, dass diese freiwillig die Macht teilen oder gar einer Demokratie den Weg freimachen, glaube er keine Sekunde. &bdquo;Die haben vor nicht allzu langer Zeit noch beim IS oder Al-Qaida gekämpft. Aus denen werden in so kurzer Zeit keine Demokraten“, sagt er.

Auf den syrischen Straßen, auf denen Hayat Tahrir al-Scham das Sagen hat, seien Somalis und Tadschiken in der Uniform der Truppe unterwegs. Das seien internationale Dschihadisten, die mit Sicherheit nicht für die Demokratie kämpften. &bdquo;Was haben die in Syrien zu suchen?“ Ihr Führer Dschaulani ist für ihn ein &bdquo;Schauspieler“. Er sage, was gerade opportun sei, aber natürlich wolle er die Scharia einführen.

Shamoo geht ebenfalls nicht davon aus, dass Syrer aus Deutschland in nennenswerter Zahl zurück in das Land gehen, solange dort die Rebellen von Hayat Tahrir al-Scham am Drücker sind. Er fürchtet, dass es früher oder später zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit den Kurden kommen wird, die mit Rojava im Nordosten von Syrien ein de-facto-autonomes Gebiet verwalten. &bdquo;Das alles macht mich wütend und traurig“, sagt er.

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