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Benzinattacke auf Sozialamt: Gericht verhängt Haftstrafe gegen Syrer

Ein 47-Jährige gibt vor Gericht an, dass er sich im Kalletaler Rathaus verbrennen wollte. Der Gutachter 
attestiert ihm eine eingeschränkte Schuldfähigkeit

Astrid Sewing

- © Astrid Sewing
Prozess nach Benzinattacke auf Kalletaler Sozialamt (© Astrid Sewing)

Detmold. Yussuf H. (Name geändert) ist am 25. Februar einfach am Ende. Seit 13 Jahren lebt er in Deutschland, soziale Kontakte hat er nicht, er fühlt sich verfolgt, jede Zurückweisung empfindet er als Kränkung. Im Februar, so sagt H. vor Gericht, wollte er sich selbst anzünden. Im Sozialamt Kalletal verspritzt er Benzin, zwei Mitarbeiterinnen werden verletzt.

Dafür verhängt Richter Martin van der Sand eine Freiheitsstrafe von einem Jahr, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wird. „Es geht um die Verteidigung unserer Rechtsordnung, deshalb ist eine Haftstrafe geboten", sagt van der Sand.

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Abschiebung

Yussuf H. ist in Damaskus geboren worden und hat die syrische Staatsangehörigkeit. Das hat Auswirkungen auf die Frage, ob er abgeschoben werden kann. Brigitte Nolting vom Ausländeramt des Kreises Lippe sagt klar: „Nein." Denn Syrien ist ein Kriegsgebiet, und deshalb sei es rechtlich nicht möglich, eine Abschiebung zu betreiben. Eine freiwillige Ausreise könne aber sehr wohl erfolgen, vorausgesetzt, alle Ausweisdokumente liegen vor. Generell sei es auch keineswegs so, dass Asylbewerbern, die straffällig geworden sind, weiter Asyl gewährt wird. „Bei Freiheitsstrafen werden die Möglichkeiten genau geprüft", sagt Nolting.

H. hat im Gerichtssaal einen Dolmetscher an seiner Seite, doch die Fragen nach dem Warum, die ihm gestellt werden, beantwortet er im Kern nicht. Er erzählt, dass ihn die Nachbarn ärgern, dass ihm seine Satellitenschüssel mehrfach zerstört wurde, dass ihm keiner zuhören will. Am Tattag kommt mehreres zusammen. Im Sozialamt bekommt er kein Geld, weil seine Duldung abgelaufen ist und er es versäumt hat, diese im Ausländeramt in Detmold verlängern zu lassen. Er sei dann in einen Markt gegangen, weil er hungrig war.

„Ich habe den Marktleiter gebeten, später zahlen zu dürfen. Aber er hat mich weggeschubst", sagt er erregt. Er habe sich zutiefst gedemütigt gefühlt. Diesen Punkt greift Gutachter Dr. Martin Reker auf, der die Schuldfähigkeit des 47-Jährigen beurteilen muss. „Die unterschiedlichen kulturellen Denk- und Wertesysteme muss man verstehen. Wir fragen nach der Schuld und sehen den Einzelnen, aber im arabischen Raum geht es um die Ehre. Eine Kränkung hat ein anderes Gewicht. H. habe sich in einem seelischen Ausnahmezustand befunden.

Der Verteidiger Johannes Salmen sieht im Vordergrund, dass H. nur sich schaden wollte und spricht sich für eine Freiheitsstrafe aus, die zur Bewährung ausgesetzt wird, Staatsanwältin Johanna Dämmig fordert ein Jahr Freiheitsstrafe mit einer Bewährungszeit von drei Jahren.

Doch dem folgte das Gericht nicht. In das Urteil fließt auch ein, dass es zur Explosion hätte kommen können und die beiden Mitarbeiterinnen des Sozialamtes noch heute psychisch unter den Folgen leiden. „Die Tat war so gefährlich, dass wir die Bevölkerung davor schützen müssen – das ist unsere Botschaft", sagt Martin van der Sand. Und H.? Er erklärt, dass er die Haft antritt und nur eins will: zurück nach Damaskus.

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