Kalletal. Ein junger Biobauer geht neue Wege mit einer sehr alten, bedrohten Pflanze. Jan Fleischfresser baut auf zwei Hektar Fläche eines Naturlandhofs in Kalletal die Lippische Palme an – eine nachweisbar schon vor 400 Jahren in Lippe angebauten Grünkohlsorte mit lila-rötlichem Stamm, an dessen oberem Ende sich die gekräuselten Blättern palmenartig auffächern. Die Pflanze kann bis zu 1,80 Meter hoch werden. Jan Fleischfresser war die Lippische Palme schon als Kind vertraut, sie wächst in Lüdenhausen im Garten seines Großvaters, der rund 80 Pflanzen hat. Aus ihnen sind über einen kleinen Umweg die 80.000 Pflanzen hervorgegangen, die der 31-Jährige im Mai in den Acker gesetzt hat. Hier kommt Agnes Sternschulte ins Spiel, zuständig für Landschaftsökologie am Freilichtmuseum in Detmold, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Artenvielfalt zu erhalten. Vor einigen Jahren suchte das Museum systematisch nach alten Gemüsesorten und Zierpflanzen und rief Gartenbesitzer auf, dem Museum Samen zur Vermehrung zu spenden. Der Palmkohl lässt sich nur per Hand ernten Elf Privatleute gaben Samen ihrer über Generationen gehegten Lippischen Palmen ab, darunter auch Jan Fleischfressers Großvater. Als es darum ging, welche der elf unterschiedlichen Hofsorten vermehrt werden sollte, fiel die Wahl auf die Palme aus dem Kalletal. „Wir haben sie als Amateursorte registrieren lassen", erklärt Sternschulte, „sonst hätten wir sie nicht verkaufen dürfen." Fleischfresser bezog sein Saatgut vom Freilichtmuseum, der Kreis hat sich geschlossen. Alle Hobbygärtner können es im Museum kaufen, sie verpflichten sich als Pflanzenpaten aber, die alten Sorten auch tatsächlich wachsen und sprießen zu lassen. Mit dem feldmäßigen Anbau des Palmkohls steht Jan Fleischfresser allein auf lippischer Flur. Für die konventionelle Landwirtschaft ist der Palmkohl zu kompliziert. Herkömmlicher Grünkohl kann von Maschinen geerntet werden, die ungleichmäßig wachsende Lippische Palme muss von Hand gerupft und verlesen werden – „aber dadurch ist der Kohl auch von sehr guter Qualität", sagt der verheiratete, zweifache Familienvater, der in Göttingen Agrarwissenschaften studiert und schon als Student begonnen hat, Rhabarber zur Versaftung anzubauen. „Die Trockenheit im Sommer hat die Palme gut überstanden", sagt Fleischfresser. Sie hatte sogar einen positiven Effekt: „Die Schnecken blieben weg." Jan Fleischfresser lächelt und streift einige verwelkte Blätter vom Stamm. Die unteren Blätter wurden wie der Strunk traditionell an Kleintiere wie Kaninchen oder Ziegen verfüttert, erzählt Agnes Sternschulte, und so kennt es Jan Fleischfresser auch von seinem Großvater. Die Lippische Palme ist daher auch unter dem Namen Ziegenkohl bekannt. "Eine alte Sorte im Glas ist ein Novum" Schon auf einem Kupferstich des Jahres 1626 ist „Der Braune" – ein weiterer Name der Lippischen Palme – in prächtiger Höhe abgebildet. Drüber steht: „Zur Gesundheit". Fleischfresser zeigt auf ein violett gefärbtes Blatt: „Der hohe Gehalt an Anthocyanen macht die Lippische Palme besonders gesund", sagt er. Im Geschmack sei sie milder als herkömmlicher Grünkohl. Die Blattrippen sind weich und müssen nicht entfernt werden, sie geben dem Kohl erst den besonderen Geschmack. Im August hat der Bauer die erste Ernte eingefahren und sie zu Lipperland Konserven in Lage gebracht, wo der Kohl in Gläsern eingekocht wurde. „Eine alte Sorte im Glas, das ist ein Novum", sagt Fleischfresser. Anfang November wird er ein zweites Mal ernten. Nicht alles landet im Glas. Der Landwirt liefert den Kohl auch frisch an die Gastronomie, zum Beispiel im Freilichtmuseum Detmold. „Ende September haben wir die Lippische Palme bei ,Freilichtgenuss angeboten, bei älteren Leuten sorgte das für ein Aha-Erlebnis", berichtet Sternschulte. Es gibt die Gläser im Freilichtmuseum (bis 30. Oktober) und in einigen Hof- und Bioläden zu kaufen. Mit Einzelhandelsmärkten ist Fleischfresser im Gespräch. Eine aufwendige Grünkohlrarität in Bio-Qualität hat ihren Preis. Das Glas kostet zwischen 3,50 und 4 Euro.