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Den Falten so nah

Teilnehmer eines VHS-Kurses stellen Porträts von Bewohnern im Seniorenzentrum St. Loyen aus

veröffentlicht

Von Martin Behrens

Gesichter des Alter(n)s, aber auch der Weisheit und der Schönheit sind seit diesem Wochenende im Foyer des Zentrums St. Loyen zu sehen. Die LZ besuchte die Vernissage und sammelte viele Eindrücke.

Lemgo. "Die Schönheit des Alters!", sagt Dr. Lothar Geisler. "Die Schönheit der Jugend ist keine Kunst. Aber die des Alters, die ist eine Kunst." Er greift mit seiner rechten Hand fester um den Griff seines Gehstocks, schaut Friedrich Thermann, Leiter des VHS-Fotokurses, tief in die Augen. Dessen acht Teilnehmer präsentieren seit dem Wochenende ihre Porträts von Bewohnern im Foyer des Seniorenzentrums St. Loyen.

Viele Besucher haben sich schon gesetzt, gleich beginnt die Vernissage, doch Geisler hat noch etwas zu sagen: "Warum ersetzen sie nicht die Namen unter den Porträts mit dem Alter?" Fast aufmüpfig lächelt er, dessen von tiefen Weisheitsfalten durchfurchtes Gesicht je nach Schattenfall an Konrad Adenauer zu erinnern scheint, Thermann an: "Was haben sie denn an dem Bild auszusetzen?" Thermann scheint nicht ganz so begeistert wie Geisler. Er erzählt etwas vom Spiel von Licht und Schatten, von Einfallswinkeln und - er nimmt kein Blatt vor den Mund - von einem "depressiven Gesichtsausdruck", den Geisler auf dem Foto habe. "Aber ich bin auch depressiv", lässt der sich trotzig die Freude an seinem Porträt nicht nehmen und lächelt mit jugendlicher Keckheit.

94 Jahre ist er alt: er, der 1956 aus der DDR flüchtete und bis 1981 am Engelbert-Kaempfer-Gymnasium unterrichtete. 94 Jahre und froh, nur einmal als "Model" fungiert zu haben. "Das muss ein anstrengender Beruf sein." Geisler, seit neun Jahren Bewohner im Seniorenzentrum St. Loyen, war immer froh, Lehrer gewesen zu sein - "und genauso froh, es heute nicht mehr zu sein", lacht er inzwischen auf seinem Stuhl sitzend und lauscht dem jungen Trio der Musikschule Lemgo. Bis vor einem Schlaganfall vor wenigen Wochen habe er selber das Klavier im Foyer gespielt. Er legt seine linke Wange an seine auf den Gehstock gefalteten Hände, um sich zu konzentrieren. "Ich war kein Virtuose, aber habe mit Leidenschaft gespielt", flüstert er.

Geisler weiß um die Schwachstellen des Instrumentes: "Die oberen Register sind zu schwach, das ganze Klavier ist verstimmt", sagt er nach dem Stück von Fryderyk Szopen. Von diesen modernen Werken, wie sie die Musikschüler danach spielten, halte er nicht viel, "aber sie geben sich ja alle Mühe, das muss man honorieren", spricht ganz der Musikkritiker aus ihm, der er neben der Schularbeit so viele Jahre für eine Tageszeitung war.

Jetzt steht Thermann vor den Bewohnern, bedankt sich für die Model-Tätigkeit und lädt zum Rundgang durch die Ausstellung. Henny Schultze, die ein halbes Jahr vor Geisler nach St. Loyen kam, beugt sich über ihren Rollator. "Schöner bin ich halt nicht", lacht sie und vertieft sich ganz in ihr Bild. "Doch: das ist schön." Erinnern kann sie sich nicht mehr an den Tag des großen Foto-Shootings, wohl aber an ihren ersten Tag in St. Loyen: der 21. Januar 2001. Geisler unterdessen geht mit kleinen Schritten wieder in Richtung seines Portraits. "Aber schreiben sie nicht, dass ich eitel wäre. Das bin ich nicht."

Die Ausstellung ist noch bis Ende Juni im Foyer von St. Loyen an der Leopoldstraße 61c zu besuchen. Der Eintritt ist frei."Schöner bin ich

halt nicht"

Henny Schultze

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