Interview zum Klimastreik: "Es geht nicht nur ums Schulschwänzen"

Kreis Lippe. &bdquo;Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!" Das Phänomen &bdquo;Fridays for Future" und seine Schlachtrufe hinterlassen weltweit Spuren. In Detmold haben Schüler bisher zwei Mal für den Klimaschutz demonstriert. Die 16-jährige Johanna Brand gehört zum Organisationsteam der Bewegung in der Residenzstadt.

Doch die Streiks werden längst nicht von allen wohlwollend aufgenommen. Insbesondere, da viele Demos innerhalb der Schulzeit stattfinden, hagelt es Kritik. Und das nicht nur von Eltern und Politikern. Auch andere Jugendliche sehen die Bewegung kritisch. Im Gespräch mit der LZ bezieht Johanna Brand zu den Vorwürfen Stellung.

Johanna, &bdquo; Fridays for Future" ist auch in Detmold und Lemgo angekommen. Stimmt die Kritik, dass viele Schüler nur mitmachen, um auf Unterricht zu verzichten?

Johanna Brand : &bdquo;Ich denke nicht, dass es nur ums Schulschwänzen geht. Man wird Teil einer Bewegung und entwickelt ein ganz anderes Bewusstsein. In Detmold gab es bisher zwei Demos, und wir haben beide bewusst außerhalb der Schulzeit organisiert. Man kann hier sehr gut sehen, dass es eben auch anders funktioniert. Ich glaube sogar, dass weniger Leute dabei gewesen wären, wenn die Demos innerhalb der Schulzeit stattgefunden hätten. Ich finde das ganz toll, wie viele Leute in ihrer Freizeit daran teilnehmen. Neben den Schülern hat sich auch die Gruppe ’Parents For Future gebildet, die hier auch schon mitdemonstriert hat."

Kommen denn die Inhalte auch bei den Jugendlichen an?

Brand: &bdquo;Ich glaube, gerade Schüler würden sich vielleicht gar nicht für die Themen und Forderungen interessieren, würden sie nicht zusammen dafür auf die Straße gehen. Manch einer denkt sich vielleicht erstmal nur ’Hey, da wird was organisiert von Schülern in meiner Stadt und guckt sich das an, weil er sich damit identifizieren kann. Und dann fängt er an, sich mit dem Umweltschutz zu beschäftigen."

Auch die Politik diskutiert die Streiks. Wie sieht das hier vor Ort aus?

Brand: &bdquo;Ich finde es enorm, wie unsere Bemühungen bisher aufgenommen wurden, auch von Politikern hier in Lippe. Wir werden unter anderem mit Bürgermeister Heller ein Gespräch führen. Sie sind an unseren Forderungen interessiert."

Christian Lindner (FDP) sagt dazu: &bdquo;Von Kindern und Jugendlichen kann man nicht erwarten, dass sie bereits alle Zusammenhänge sehen. Das ist Sache von Profis."

Brand: &bdquo;Ich würde nicht sagen, dass es altersbedingt ist, inwiefern man über globale Zusammenhänge Bescheid weiß. Man kann einem Jugendlichen nicht einfach unterstellen, dass er keine Ahnung hat. Es kann ja sein, dass er sich intensiv mit einer Sache beschäftigt hat. Ich denke aber auch, dass das Wahlalter von 18 einen Grund hat. Klar, viele beschäftigen sich mit Politik, aber es gibt eben auch viele, die das gar nicht tun. Es ist zwar nur die eine Stimme, aber man trägt dann ja schon auch eine Verantwortung."

Es gibt Stimmen, die sagen, der Mensch habe keinen Einfluss auf den Klimawandel.

Brand: &bdquo;Der Klimawandel, den wir seit der Industrialisierung erleben, ist nicht mehr normal, er ist auch menschengemacht. Der Meeresspiegel steigt kontinuierlich, immer mehr Gebiete veröden, ganze Tierarten sterben aus. Da kann man doch nicht so argumentieren und sagen, dass wir nichts gegen diese Folgen tun sollten, nicht dagegenwirken können."

Die Schwedin Greta Thunberg ist für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Ist das gerechtfertigt?

Brand: &bdquo;Sie ist diejenige, die die Bewegung ins Leben gerufen hat. Aber ich finde, man sollte jetzt mehr die Bewegung als Ganzes betrachten. Wir sind an einem Punkt der Entwicklung, wo sich mehr auf das Thema fokussiert werden sollte, nicht auf so einen Personenkult. Ihre Forderungen sind große Herausforderungen. Wir müssen im Kleinen anfangen. Wir haben zum Beispiel in Detmold Forderungen eingereicht. Uns geht es etwa darum, mehr Mülleimer für die Stadt zu bekommen. Aber vor allem muss Klimaschutz ein viel wichtigeres Thema in der Schule werden."

Die Schüler Union Lippe hat sich gegen die Demos ausgesprochen. Sie wirft den Streikenden vor: &bdquo;Wer im Billigflieger um die Welt reist, kann nicht glaubhaft für Klimaschutz eintreten."

Brand: &bdquo;Ich glaube, dass es ein ganz starker Kritikpunkt ist, dass Flugreisen einfach günstiger sind als zum Beispiel Zugreisen. Da müsste es ein Umdenken geben. Es muss insgesamt attraktiver werden, umweltbewusst zu handeln."

Wo geht die Reise mit &bdquo; Fridays for Future" hin?

Brand: &bdquo;Ich könnte mir vorstellen, dass die Bewegung weiter wachsen wird. Noch steht sie am Anfang, es geht darum, möglichst viele zu mobilisieren. Dann kann man wirklich Druck ausüben und wirklich etwas erreichen. Da zählt dann: Zusammen sind wir stark, zusammen können wir etwas bewegen."

"Das Ende der Verdrossenheit" Ein Kommentar von LZ-Redakteurin Yvonne Glandien

Jugendliche sind uninteressiert, faul und überhaupt nur für sich selbst zu begeistern. Oder? Jahrelang hat man der Jugend Politikverdrossenheit vorgeworfen. Die weltweiten Klimastreiks unter dem Motto &bdquo;Fridays for Future" zeigen jetzt genau das Gegenteil – engagierte Schüler, die für ihre Zukunft auf die Straße gehen. Und ebenso engagierte Demo-Kritiker, die sich in den politischen Diskurs einmischen. Die Zeit ist reif für diesen Wandel.

Schleichend fing es in den vergangenen Jahren mit Demo-Projekten wie &bdquo;Pulse of Europe" an, die den Normalbürger auf die Straße geholt haben. Plötzlich standen etwa in Lemgo und Detmold und vielen anderen Orten weltweit Menschen Seite an Seite, die sich in ihrem Alltag gar nicht so sehr mit Politik auseinandersetzen. Dieses Phänomen hat sich nun auf Schüler übertragen. Es geht nicht darum, gegen etwas zu demonstrieren – sondern Zusammenhalt zu bezeugen und einer ganzen Generation eine Stimme zu verleihen.

Mit den Klimastreiks zeigen Schüler auf, dass sie die politischen Entscheidungen ihrer Eltern und Großeltern missbilligen. Das ist ihr gutes Recht. Kritiker wie Christian Lindner, die darauf verweisen, dass dies eine &bdquo;Sache für Profis" sei, machen sich mit solchen Aussagen unglaubwürdig. Wer während der Wahlkampagne noch mit Rechten von Schülern geworben hat, sollte nicht mit Steinen werfen. Schließlich wollen doch die Jugendlichen genau darauf aufmerksam machen, dass sich eben jene Profis stärker um die Probleme kümmern sollen, die sie als wichtig empfinden.

Doch nicht jeder muss ein Fan der Aktion sein oder sich gar daran beteiligen. Die Streiks müssen nicht einmal dafür sorgen, dass ihre Themen unmittelbar von der Politik Beachtung finden. Denn was die Schülerstreiks längst geschafft haben, ist, dass sie in ihrer eigenen Zielgruppe polarisieren. Dass dort eine Generation heranwächst, die sich eine eigene Meinung bilden und mündige Bürger hervorbringen kann. Dafür müssen die Aktiven aber mit Herzblut bei der Sache bleiben – auch wenn das erste Adrenalin nachlässt.

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