Kreis Lippe. Die einen sind auf der Suche nach sich selbst, andere sehen es als sportliche Herausforderung, manchmal spielt der religiöse Glaube eine Rolle: Menschen sind aus ganz unterschiedlichen Gründen auf dem Jakobsweg unterwegs. Auch Jochen Kotzenberg, früherer Werkstattleiter bei der Lebenshilfe Detmold, hat sich zu Beginn seines aufgrund einer Erkrankung frühen Ruhestande zum ersten Mal auf den Weg nach Santiago de Compostela gemacht. Die Pilgerreise sei für ihn so besonders gewesen, dass ihm dabei der Gedanke gekommen sei, dass auch Menschen mit Behinderung die Möglichkeit bekommen sollten, diese einzigartige Erfahrung zu machen. Heute, gut 15 Jahre später, steht nun die siebte Pilgerreise mit Teilnehmern der Lebenshilfe kurz bevor. Mit Worten könne man es gar nicht beschreiben, was der Jakobsweg mit einem mache, sagt Kotzenberg. In jedem Fall habe die Reise in 2008 ihn dazu inspiriert, dies auch für Menschen der Lebenshilfe zu organisieren. In seiner früheren Arbeitskollegin Ursula Resack habe er damals eine begeisterte „Co-Pilotin“ für dieses Projekt gefunden, erzählt er. So organisierten die beiden Ehrenamtlichen erstmals im Jahr 2011 eine Pilgerreise für Menschen mit Behinderung - damals in Trägerschaft der Lebenshilfe Detmold und seit einigen Jahren im Namen des Kreissportbundes. Einige waren schon öfter dabei Seither hätten sie viel erlebt und tolle Erfahrungen gemacht, berichten die Reiseleiter bei dem Vorbereitungstreffen für ihre bevorstehende Wanderfreizeit im September von Oviedo nach Santiago de Compostela. Das Treffen an diesem Nachmittag dient auch dazu, dass sich die Teilnehmer untereinander kennenlernen. Schließlich werden sie auf ihrer 14-tägigen Reise in Spanien viel Zeit miteinander verbringen und sich den Schlafraum in den Pilgerherbergen teilen. Doch ganz so fremd ist sich die Gruppe gar nicht, denn der Großteil hat bereits gemeinsam an den Freizeiten des Kreissportbundes teilgenommen. Stephanie Riepenhausen aus Horn-Bad Meinberg ist eine der „Wiederholungstäterinnen“. Ihr würden die Reisen so gut gefallen, dass sie fast jedes Jahr daran teilnehme, erzählt die 39-Jährige. So sei sie in der Vergangenheit schon auf dem Jakobsweg gepilgert, aber auch an anderen Angeboten des Kreissportbundes, etwa an Reisen an die Nordsee und in den Harz habe sie teilgenommen. Da manche Menschen der Lebenshilfe aufgrund ihrer Beeinträchtigung keine langen Strecken wandern können, organisieren Jochen Kotzenberg und Ursula Resack nicht nur Pilgerreisen, sondern auch Freizeiten an der See. Organisation sei für viele zu schwer Wenn man am Ende des Weges an der Kathedrale in Santiago de Compostela ankomme, dort der große Weihrauchkessel geschwenkt werde und die Pilger ihre Urkunde überreicht bekämen, dann sei das ein sehr besonderes Erlebnis, schildert Stephanie Riepenhausen ihre Eindrücke. Auf dem Weg würde man auch mit vielen Menschen ins Gespräch kommen. Dabei hatten sie ausschließlich gute Erfahrungen gemacht, wie Ursula Resack berichtet. Und auch das Reisen mit den Teilnehmern sei immer sehr unkompliziert, erzählt die 77-Jährige. Die Sozialpädagogin kennt den Umgang mit behinderten Menschen nicht nur von ihrer früheren Arbeit bei der Lebenshilfe, sondern auch aus dem privaten Umfeld. Ihr Bruder, der in diesem Jahr im Alter von 67 Jahren starb, hatte das Downsyndrom. Auch er habe gerne an den Freizeiten teilgenommen, pilgern konnte er jedoch nicht, erzählt die Detmolderin. „Menschen mit Behinderung sind emotional genau so offen, um das zu empfinden, was ich beim Pilgern empfinde“, sagt Jochen Kotzenberg. Doch vielen sei es nicht möglich, zu reisen, weil sie die Organisation nicht hinbekommen würden, erklärt er seine Motivation die Reisen zu organisieren. Und auch wenn die beiden Ehrenamtlichen die Organisation in die Hand nehmen würden, seien sie nicht die „Chefs“ der Gruppe, wie sie betonen: „Wir bewegen uns auf Augenhöhe.“ Auch für sie sei es Freizeit und eine Zeit, die sie genießen. Bewegende Eindrücke Im September werden die Teilnehmer auf dem weniger stark frequentierten Camino del Norte den Jakobsweg bestreiten. Nur an den letzten beiden Wandertagen auf ihrer insgesamt etwa 120 Kilometer langen Strecke werden sie auf dem bekannten Camino Francé unterwegs sein. Etwa zehn bis 15 Kilometer würden sie am Tag zurücklegen, sagt Kotzenberg. Das Tempo werde immer der Gruppe entsprechend gewählt, sodass niemand überfordert werde. Nach schätzungsweise neun Wandertagen verbringt die Gruppe den Rest ihrer 14-tägigen Reise in Finisterre. „Da lassen wir die Seele baumeln“, sagt Ursula Resack. Zudem stehe dort immer ein ganz besonderes Erlebnis an. Das Kap Finisterre, das übersetzt „Ende der Welt“ bedeutet, markiert für viele Pilger des Jakobsweges das Ende der Reise. An der „Costa da Morte“ (Todesküste) würden viele Pilger in aller Stille bewundern, wie die Sonne im Atlantik untergeht. „Schon beim Erzählen bekomme ich direkt wieder Gänsehaut“, sagt die Detmolderin. Viele Pilger würden dabei weinen, ein sehr emotionaler Moment, führt Jochen Kotzenberg weiter aus. Der Gang auf dem Jakobsweg würde in jedem etwas bewegen - dabei spiele es keine Rolle, ob der Mensch eine Behinderung habe oder nicht.