Backen ohne Waage: Lipper Azubis staunen über italienische Rezepte

Kreis Lippe/Vicenza. Olivenöl, Olivenöl und noch mehr Olivenöl ... Was der lippische Jungbäcker Omar Kasem in Italien gesehen hat, hat sich eingebrannt. In seinem Gesellenjahr war der junge Lipper jüngst in Vicenza im norditalienischen Veneto auf halbem Weg zwischen Gardasee und Venedig. Ein Erasmus-Austausch, um die italienische Backkunst, aber auch das italienische Ausbildungssystem in Augenschein zu nehmen. Eine eindrucksvolle Zeit, wie nicht nur Omar Kasem, sondern auch seine ehemalige Mitschülerin Joceline Große berichtet.

Organisiert und angeboten hatte das Ganze das Felix-Fechenbach-Berufskolleg in Detmold. Laut Fachlehrer Adrian Krüger steht die Schule ohnehin schon im Austausch mit internationalen Partnern. Da sei das Austauschprogramm für angehende Bäcker gerade recht gekommen. So bekamen Große und Kasem im Gesellenjahr die große Chance.

Backen ohne feste Rezepte Während Omar Kasem, der hierzulande bei &bdquo;Westers Backfuchs“ übernommen worden ist, auch in Vicenza einen vergleichsweise großen und professionell organisierten Betrieb erwischte, sah das bei Joceline Große anders aus: Die Lipperin, die ansonsten bei Oliver Güttge in Lemgo in der Backstube steht, landete in einem echten Familienbetrieb.

&bdquo;Während die Frau und die Tochter quasi den Haushalt und den Laden am Rande der Innenstadt von Vicenza schmissen, stand ich zusammen mit dem Chef allein in der Backstube. Da habe ich natürlich einfach alles mitgemacht“, erinnert sich Joceline Große. Wie man es in Italien erwartet, sei die Stimmung in der Bäckerei meist gut und gelöst gewesen, nur mit den Rezepten, da nahm es ihr Boss nicht ganz so genau.

Nachtschicht und neue Routinen Joceline Große: &bdquo;Das war echt anders als bei uns, wo wir nach Rezept arbeiten und alles genau abwiegen. Mein Chef in Vicenza hatte alles im Kopf und während der Arbeit spontan entschieden, was wir eigentlich backen wollen.“ Dabei sei aufgrund der Sprachbarriere vieles &bdquo;mit Händen und Füßen“ besprochen und geregelt worden. &bdquo;Mit zunehmender Zeit und Routine klappte das aber auch immer besser“, erinnert sich die Lipperin.

Auch bei Omar Kasem, der in seiner ersten Woche noch viele Abläufe erst durch Zugucken lernen sollte, gab es eine gewisse Flexibilität im Umgang mit den italienischen Produkten. &bdquo;Beim Portionieren gab es in Italien beispielsweise keine Waage“, sagt der junge Bäcker. &bdquo;Es ging nach Augenmaß - dann hatte ein Brötchen 100 Gramm, das nächste 150 Gramm, und es wurden auch helle und dunkle angeboten, weil sie dann ungleichmäßig aus dem Ofen kommen.“

Italiens Liebe zum Lebensmittel Absolut interessant seien die Unterschiede gewesen, bestätigen Omar Kasem und Joceline Große. Vor allem, als in Woche zwei bei Kasem jemand ausfiel, musste er direkt in der Nachtschicht mit ran. Übrigens eine Premiere für den jungen Bäcker, der in Deutschland tagsüber Brot und Brötchen in den Ofen schiebt. Auch für Lehrer Adrian Krüger, der mit in Italien war und beide Betriebe kennenlernen durfte, waren die Erlebnisse spannend.

Was ihm auffiel: Oftmals investieren die norditalienischen Bäckereien doch mehr Zeit und Mühe in ihre Produkte. So habe er viel Vorteig gesehen, eine aufwendige Art, zu backen. &bdquo;Vielleicht ein Ausdruck der italienischen Liebe zum Lebensmittel. So geben die Italiener ja auch mehr Geld dafür aus“, erklärt Adrian Krüger. Aber natürlich, so berichtet der Fachlehrer weiter, hätten auch in Italien die Fertigbacktheken in den Discountern Einzug gehalten.

Ein Sauerteig mit Geschichte Absolut beeindruckend fand Omar Kasem derweil, welche Mengen Olivenöl seine Bäckerei und Konditorei in Vicenza tagtäglich verarbeitete. &bdquo;Es gab Rosinenbrötchen mit Olivenöl“, ist Kasem immer noch regelrecht geschockt. &bdquo;Ich hätte auf jeden Fall Butter genommen.“ Aber während Italiener nicht auf die Idee kommen würden, ein belegtes Brötchen zum Frühstück zu wählen, sondern eher etwas Süßes wie ein Croissant vorzögen, seien die Geschmäcker eben auch bei Rosinenbrötchen & Co. anders. Ciabatta und Focaccia lassen grüßen.

Während in Deutschland Roggen- und Vollkornbackwaren eine Besonderheit darstellen, sei die Bandbreite an hellen Weißenmehlgebäcken in Italien viel größer, hat Lehrer Adrian Krüger gesehen. Eindrücke, die in den kommenden Jahren auf jeden Fall noch ausgebaut werden sollen, wie Monika Schackmar, Erasmus-Beauftragte der Abteilung Ernährung, Versorgung, Körperpflege, unterstreicht. Heißt: Die Reisen nach Italien sollen weitergehen.

Dank an heimische Betriebe Ein Dank gebühre noch den Betrieben, die ihre Azubis und Gesellen für solche Lehrreisen freistellen müssten, betont Adrian Krüger. Im Gegensatz dazu kennt das italienische System nur eine Vollzeit-Ausbildung an der Schule, die nur durch Praxisphasen ergänzt werde. Krüger selbst hat übrigens aus Italien noch eine echte Rarität mitgenommen: eine Portion Sauerteig im Glas, der bereits seit 150 Jahren in Umlauf sein soll. Ein echtes Stück italienischer Geschichte, die nun auch die Lehre am Felix-Fechenbach-Berufskolleg bereichern wird.

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