Lage-Waddenhausen. Alles falsch gemacht. So kann ich mein Verhalten nur beschreiben. Dabei hätte ich es besser wissen müssen. Auf meiner Laufrunde entlang der Waddenhauser Seen ist mir bereits vergangenes Jahr ein Frischling vor die Füße gelaufen. Seitdem hatte ich mich an die Hoffnung geklammert, das sei eine Ausnahme gewesen - bis ich jetzt einer ganzen Wildschwein-Rotte gegenüberstand.
Das Bild der besorgten Mama des ausgebüchsten Frischlings von damals, die in Alarmbereitschaft mit ihrem restlichen quiekenden Nachwuchs auf der gegenüberliegenden Uferseite stand, noch vor Augen, hatte ich mich im Internet schlau gemacht. "Trillerpfeife mitnehmen", stand da als Tipp. Und: "Rauf auf den nächsten Baum." Das mit der Trillerpfeife habe ich tatsächlich einige Wochen durchgezogen, aber über die Frage, welcher Baum geeignet ist und wie ich es schaffen könnte, mich da hinauf zu hieven, grübele ich bis heute.
Das Rascheln kommt aus dem Dickicht des Waldes, direkt neben der Kläranlage. Ich habe den dicken Keiler gerade ausgemacht, als die mindestens 15-köpfige Rotte durch die Werre direkt auf mich zusteuerte und mir nur noch ein Gedanke kommt: Renn! "Weglaufen ist in dieser Situation zwar ganz typisch, aber genau die verkehrte Reaktion", erzählt mir später nach erfolgreicher Flucht Moritz von Eckardstein, dass ich samt Hund ganz ruhig und still hätte stehen bleiben sollen. "Am besten unauffällig hinter einem Baum", so der Jäger und Besitzer der betreffenden Waldflächen. Und wohin mit dem Hund? Einen Retriever klemmt man sich nicht mal eben unter den Arm. Die Überlegungen waren jedenfalls alle umsonst. "Wildschweine sind relativ kurzsichtig, und laute Geräusche mögen sie auch nicht", rät von Eckardstein, dass auch Schreien die Tiere zur Umkehr bewegen kann. Ihm ist die Rotte, die durch Pottenhausen, Iggenhausen und Waddenhausen streift, gut bekannt.
Zwischen 8.30 und 10 Uhr gehe die Leitbache in der Regel mit ihrem Gefolge über die Werre. "Die Wildschweine haben monatelang in den Feldern gelebt, jetzt steht kein Getreide mehr und sie suchen sich Bucheckern und Eicheln für ihren Eiweißbedarf", erklärt von Eckardstein den Wechsel und beruhigt: "Menschen und Hunde greifen sie in der Regel nicht an. Allerdings kann die Bache extrem aggressiv und gefährlich werden, wenn sie ihren Nachwuchs bedroht sieht." Überall wo Wald ist, sei heutzutage mit Wildschweinen zu rechnen. "Das ist die Natur, und wir müssen uns an den entsprechenden Umgang gewöhnen", sagt Moritz von Eckardstein, während ich noch überlege, ob ich meine Laufroute ändern oder einen Kletterkursus besuchen soll.
Seit 15 Jahren sind regelmäßig Wildschweine in den Lagenser Wäldern unterwegs. Seit fünf Jahren ständig.
Einmal im Jahr wird revierübergreifend von Waddenhausen, Pottenhausen, Iggenhausen über Ohrsen und Kachtenhausen gejagt. Anfang Dezember ist es wieder soweit. Dann werden die entsprechenden Flächen großflächig abgesperrt.
Ziel der Jäger ist der Nachwuchs, aber auch allein laufende Elterntiere. "Die alte Leitbache ist dagegen sehr wichtig für die Sozialstruktur in einer Rotte, denn sie sorgt dafür, dass der Keiler nicht jederzeit an die jungen Bachen geht", erklärt Moritz von Eckardstein, dass sonst drei Mal im Jahr mit Frischlingen gerechnet werden muss.
Der Jäger ist froh, dass die Tiere nicht wie in anderen Gegenden bis in die Innenstadt kommen und warnt Bürger davor, Essensreste auf den Kompost zu geben.