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Arzt der siamesischen Zwillinge Lea und Tabea aus Lemgo will ins Weiße Haus

Martin Fröhlich und Dirk Hautkapp

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Ein Außenseiter holt mächtig auf: Neurochirurg Benjamin Carson will 2016 für die Republikaner in den Präsidentschaftswalkampf ziehen. - © dpa / picture alliance
Ein Außenseiter holt mächtig auf: Neurochirurg Benjamin Carson will 2016 für die Republikaner in den Präsidentschaftswalkampf ziehen. (© dpa / picture alliance)

Washington/Lemgo. Der dominierende Präsidentschaftskandidat der Republikaner, Donald Trump, sieht sich plötzlich einem ernsthaften Herausforderer gegenüber: dem Neurochirurgen Benjamin Carson. Einem Mann, an den sich mancher in OWL noch erinnert. Vor allem Familie Block in Lemgo. Carson ist der Arzt, der 2004 die Operation an den siamesischen Zwillingen Lea und Tabea leitete.

Die Mädchen waren an den Köpfen zusammengewachsen und wurden in einer 18-stündigen Operation getrennt. Tabea starb, Lea überlebte. Carson hatte die OP geplant und das 50-köpfige OP-Team geleitet. Er war zuversichtlich, dass beide Kinder überleben. Carson war Spezialist für die Trennung siamesischer Zwillinge. 1987 trennte er zwei deutsche Brüder, die ebenfalls am Kopf zusammengewachsen waren, erfolgreich.

2014 kündigte der Chef der Kinder-Neurochirurgie des Johns Hopkins Hospital in Baltimore an, für die Republikaner in den Präsidentschaftswahlkampf ziehen zu wollen. Anfangs belächelt, holte er in den Umfragen immer mehr auf und hat sich zum vielleicht einzigen Konkurrenten von Donald Trump gemausert. Vor der dritten Fernseh-Debatte der republikanischen Präsidentschaftskandidaten, die heute in Boulder/Colorado stattfindet, hat sich Carson sogar an dem New Yorker Bau-Unternehmer vorbeigeschoben.

"Der Typ hat doch nur ganz wenig Energie"

Im Bauern-Bundesstaat Iowa, wo in knapp 100 Tagen die offizielle Tournee der Vorwahlen beginnt, liegt der 64-Jährige Schwarze nicht nur in der Gunst christlicher Fundamentalisten weit vorn. Dem scheinbar besonnen redenden Arzt werden im konservativen Bewerberfeld die höchsten Beliebtheitswerte zugerechnet. Zwischen ihm und dem ins Hintertreffen geratenen Präsidenten-Sohn Jeb Bush liegen fast 20 Prozentpunkte.

Trump, stets auf Konfrontation gebürstet, hat die Gefahr erkannt. „Der Typ hat doch nur ganz wenig Energie“, zog er über seinen Rivalen her und rückte Carsons religiöse Heimat, die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten, ins Reich des Obskuren. Dabei gibt es ganz andere Angriffsflächen.

Im Windschatten der absurden Meldungen Trumps zünden Carsons Einlassungen meist mit Verspätung. Dann aber richtig. Homosexuelle rückt er in die Nähe von Pädophilen. Gefängnisse sind für ihn Brutstätten des Gleichgeschlechtlichen. „Leute gehen als Heteros rein und kommen als Schwule wieder heraus.“

Obamas Gesundheitsreform, die Millionen Menschen vor dem wirtschaftlichen Ruin im Krankheitsfall bewahrt, ist für den Arzt das „Schlimmste, was diesem Land seit der Sklaverei passiert ist“. Das seit über 40 Jahren für Rechtsfrieden sorgende Urteil des Obersten Gerichtshofes zum Recht auf Abtreibung würde er „sofort kippen“.

"Ich hätte versucht, ihn zu erschießen"

Obwohl die US-Verfassung Ausgrenzung ausdrücklich verbietet, würde Carson niemals einem Muslimen als Präsidenten zustimmen. Es sei denn, der Kandidat „schwört vorher öffentlich der Scharia ab“. Nach dem Schul-Massaker von Oregon warf Carson den Opfern indirekt vor, sie hätten sich wie Lämmer zur Schlachtbank führen lassen. „Ich hätte versucht, den Attentäter zu erschießen.“

Seine Überzeugung, dass Amerikaner Schusswaffen besitzen müssen, um sich zu verteidigen, garnierte er mit dem Hinweis, Adolf Hitler hätte die Juden nicht auslöschen können, wenn sie bewaffnet gewesen wären. Carson, ein Freund von Verschwörungstheorien, hält den Klimawandel für eine Erfindung finsterer Wissenschaftler.

Obwohl er nie ein öffentliches Amt bekleidet hat und regelmäßig mit Herablassung über das politische Washington spricht, verfuhr Ben Carson in allen Fällen wie ein Berufspolitiker: Wird die Kritik massiv, rudert er zurück, relativiert, stellt richtig und wirft dem Gegner „politische Überkorrektheit“ vor. Was dabei zu kurz kommt, ist die Kernfrage: Was würde Ben Carson als Präsident anders machen? „Niemand weiß es wirklich“, stellt der afro-amerikanische Kolumnist Eugene Robinson fest. Er hält Carson für so wirrköpfig, dass man ihn „gar nicht erst in die Reichweite des Weißen Hauses lassen darf“. Ein Urteil, dass mit dem öffentlichen Image des sanften Sonderlings kollidiert.

Ben Carson war 14, als sein Leben am Scheideweg stand. Im Streit mit einem Kumpel zog der in der Schule als „Dummchen“ gehänselte Sohn einer alleinerziehenden Mutter ein Messer und stach zu. Eine Gürtelschnalle verhinderte Schlimmeres und bewahrte ihn vor dem Gefängnis. Was danach kam, ist in Amerika volkseigener Legendenschatz, in Bücher gegossen und von Hollywood verfilmt. Carson schwor der Gewalt ab, studierte intensiv Bibel und Medizin und wurde Starchirurg. Jetzt will er ganz nach oben.

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