Lemgo. Wenn der Bauch schmerzt, das Fieber steigt oder der verstauchte Knöchel anschwillt, aber der Hausarzt schon geschlossen hat, wählen viele Patienten den Notruf. Und das, obwohl sie nicht lebensbedrohlich erkrankt sind. Das Ergebnis: Überfüllte Ambulanzen und Rettungswagen, dessen Personal dadurch weniger Zeit für wirkliche Notfälle hat. Dabei gibt es eine Alternative zur Notrufnummer 112.
Über die 116117 ist der ärztliche Bereitschaftsdienst erreichbar, der immer dann Ansprechpartner ist, wenn der Hausarzt geschlossen hat. Um das Vertrauen in diesen Dienst zu stärken und die Notfallversorgung zu entlasten, haben sich die Kreise Lippe, Höxter und Paderborn mit der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe zusammengeschlossen. Ein Projekt, das als Vorbild für die Reform der Notfallversorgung in Deutschland gilt.


Seit einem Jahr laufen alle Anrufe für die 116117 aus den Kreisen Lippe, Paderborn und Höxter in einer integrierten Leitstelle zusammen. Nach dem Prinzip drei Kreise, zwei Nummern und eine Lösung landen die Anrufer deshalb nicht mehr in einem Callcenter in Duisburg, sondern in der Leitstelle in Lemgo. „In weiten Teilen von NRW ist das noch anders, denn seit 2011 laufen alle Anrufe über die 116117 in Duisburg zusammen. Das führt zu erheblichen Wartezeiten und ineffizienter Logistik, weil die Mitarbeiter im Callcenter keine Ortskenntnisse haben", erklärt der Leiter des Bevölkerungsschutzes im Kreis Lippe, Meinolf Haase.
Wartezeit von zehn Minuten auf 30 Sekunden verkürzt
„Außerdem arbeiten in der Leitstelle Disponenten, die als Berufsfeuerwehrleute eine Ausbildung zum Rettungsassistenten oder Notfallsanitäter absolviert haben. In dem Callcenter nehmen vor allem Medizinstudenten und medizinische Fachangestellte die Anrufe an."
Nach einem Jahr Pilotphase zieht Haase ein erstes Fazit: „Die Zahlen sprechen dafür, dass das Projekt funktioniert. Den Anrufern wird schneller und qualifizierter geholfen und die Ressourcen in der Notfallversorgung werden geschont. Wir sollten aber das Gutachten abwarten, denn das Projekt wird wissenschaftlich begleitet."
1.000 Anrufe pro Woche nur über die Nummer 116117
Pro Woche erreichen die Leitstelle 1.000 Anrufe über die 116117. „Im Schnitt müssen die Anrufer 30 Sekunden warten. Vorher waren es über Duisburg im Schnitt zehn Minuten." 63 Prozent der Anrufer kann laut Haase bereits mit einer telefonischen Beratung geholfen werden. „Weitere 27 Prozent werden an den ärztlichen Fahrdienst weitergeleitet, der dann entweder telefonisch berät oder einen Hausbesuch macht." Verbessert hat sich laut Haase auch die Zeit bis zum Eintreffen eines Arztes für einen Hausbesuch: „Das klappt im Schnitt in 40 Minuten. Vorher lag die Wartezeit bei zwei und vier Stunden."
Verantwortlich für die Beratung der Anrufer und das Disponieren der Rettungsmittel sind die Disponenten in der Leitstelle, die neben der 116117 auch die Anrufe über die Notrufnummer 112 und die Nummer für den Krankentransport 19222 annehmen. Pro Schicht sind mindestens fünf Disponenten im Einsatz, denn in der Leitstelle klingen im Minutentakt die Telefone. Vorrang haben laut Haase dabei stets die Anrufe über die 112. Doch nicht immer geht es dabei um Notfälle. Gleichzeitig melden sich Patienten über die 116117, die eigentlich einen Rettungswagen brauchen. „Die Disponenten gehen bei jedem Anruf einen strukturierten Fragenkatalog durch und werden dabei technisch unterstützt, damit wir alle Patienten in den richtigen Versorgungsbereich lotsen können", erklärt Haase.
Die Anrufe über die 116117 kann die Leitstelle auch 24 Stunden übernehmen
Bislang gehen die Anrufe über die 116117 nur dann in der Leitstelle ein, wenn die Hausärzte ihre Praxen geschlossen haben. „Wir könnten die Nummer auch 24 Stunden betreuen, denn den Bürgern ist es wichtig, dass sie auch telefonisch von einer Fachkraft beraten werden."
Die von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geplante Zusammenlegung der Notrufnummer 112 und der 116117 lehnt Haase ab: „Die Anrufer über die 112 sollten weiterhin über die Leitstellen der Kreise bearbeitet werden, da sonst die Qualität leidet. Die Kooperation für die Nummer 116117 ist hingegen sinnvoll."
Zwei Nummern für alle Fälle
Die Notrufnummer 112 sollte in allen lebensbedrohlichen Fällen gewählt werden. Laut Bundesgesundheitsministerium gehören dazu Leiden wie Brustschmerzen, Herzbeschwerden, Verdacht auf einen Schlaganfall oder schwere Verletzungen.
Wenn keine Lebensgefahr besteht und alle Arztpraxen geschlossen sind, sollte die Nummer 116117 für den ärztlichen Bereitschaftsdienst gewählt werden. Die Nummer funktioniert wie die Notrufnummer ohne Vorwahl, gilt deutschlandweit und ist kostenfrei. Dort erhalten sowohl Kassen- als auch Privatpatienten schnell Hilfe.