Detmold-Hakedahl. Ob er sich als Deutscher fühle? Kemal Kort lacht. „Ich bin Lipper. Ich bin hier groß geworden", sagt der 33-Jährige aus Herberhausen. Ursprünglich stammt er aus dem Irak, ist im Kindesalter von dort geflohen. Deshalb kann er sich besonders gut in heutige Flüchtlinge hinein fühlen – und sich mit seiner bestimmten Art bei Bedarf auch durchsetzen.
Herberhausen könnte kaum bunter sein. 90 Prozent beträgt die Migrantenquote hier, darunter sind viele Russlanddeutsche, aber auch Kurden, Jesiden, Tschetschenen und Rumänen. Demnächst sollen weitere Flüchtlinge hinzukommen. Einen großen Unterstützerkreis wie die, die sich vielerorts rund um die Flüchtlingsunterkünfte gebildet haben, gibt es hier dennoch nicht.
Zahlen zu den Unterkünften
In Herberhausen gibt es an drei Stellen Flüchtlingsunterkünfte. Am Poggenpohl hat die Stadt seit Januar 2014 Wohnungen angemietet. Auf 55 Plätze kommen 43 Personen. Seit Januar 2016 stehen an der Hagenstraße sechs Wohnungen mit 36 Plätzen bereit, elf sind belegt. 16 Asylbewerber kommen aus Syrien, 13 aus Balkanstaaten, 10 aus dem Irak. Andere Herkunftsländer sind: Iran, Aserbaidschan, Libanon, China, Eritrea und Somalia. Um weitere Menschen aufnehmen zu können, werden derzeit zusätzlich 24 Wohnungen an der Hagenstraße und der Londoner Straße hergerichtet. Diese sollen 120 Asylbewerber beherbergen.Ansprechpartnerin für die ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit ist Lioba Schulte vom Haus der Kirche, Tel. (05231) 390425.
„Es ist schwierig, Ehrenamtliche zu rekrutieren", berichtet Lioba Schulte vom Haus der Kirche. Es gebe durchaus Hilfe auf nachbarschaftlicher Basis. Etwa in dem Hochhaus am Poggenpohl, in dem die Stadt Wohnungen für Asylbewerber vorhält. Dort wohnten viele Kurden, die vor 20 Jahren selbst geflohen seien und nun Unterstützung leisteten.
Eine Handvoll Ehrenamtlicher arbeitetet zudem im Jugendzentrum „Domizil" mit, wo ein neues Projekt an den Start gegangen ist. Vier sind es im Haus der Kirche selbst, das von der lutherischen und der reformierten Kirchengemeinde getragen wird und sich um Gemeinwesenarbeit kümmert. Die Helfer fungieren insbesondere als Paten. Ein Mann betreue beispielsweise einen Syrer, der schwere Verletzungen erlitten habe und in seiner Mobilität stark eingeschränkt sei. Und dann ist da noch Kemal Kort.
Der 33-Jährige engagiert sich bereits seit 2014 rund um das Haus der Kirche. „Das Ehrenamt war schon immer mein Ziel", sagt er. Den Ausschlag habe letztendlich jedoch ein ganz konkretes Ereignis gegeben: der Genozid des Islamischen Staats an den Jesiden im Irak.
Kemal Kort stammt selbst aus einer jesidischen Familie, mit einem Vater aus der Türkei und einer Mutter aus dem Irak. Dort verbrachte er die ersten Jahre seines Lebens, lebte zwischen den verschiedenen Völkern in der Region. Doch als die Zwangsislamisierung der Jesiden mehr und mehr voranschritt, floh die Familie über Russland nach Deutschland. Da war Kemal Kort sieben Jahre alt.
„Deutsch habe ich vor allem durch Gespräche mit den Älteren im Viertel gelernt. Viel habe ich mir auch selbst beigebracht", erinnert sich der 33-Jährige. Später lernte er den Beruf des Personenschützers, bevor er schließlich zum Haus der Kirche kam – wo er neben dem Ehrenamt mittlerweile auch einige Wochenstunden als Sozialhelfer beschäftigt ist.
Dabei helfen ihm seine Sprachkenntnisse. Er übersetzt für die Neuankömmlinge, hilft beim Ausfüllen von Anträgen, begleitet sie zu Behörden. „Ich weiß, was die Menschen brauchen, und ich weiß, was das Jobcenter braucht", sagt Kemal Kort. Er wende an, was er sich selbst angeeignet habe, damals ohne große Unterstützung. Daneben weist er die Asylbewerber aber auch auf die Gepflogenheiten in Deutschland hin, zum Beispiel was Ruhezeiten oder die Gleichberechtigung von Mann und Frau angeht.
Streng, aber gerecht sollten Flüchtlingshelfer seiner Ansicht nach sein. „Ich achte auf jedes kleine Detail und kann auch Konsequenzen durchsetzen", sagt der dreifache Vater mit großer Bestimmtheit. Bei einem Deutschkursus im Haus der Kirche habe er schon einmal alle Handys eingesammelt, als die Teilnehmer die Texte damit einfach in ihre Muttersprache übersetzten. Es sei wichtig, die Menschen auf den Weg zu bringen, damit sie selbstständig in Deutschland leben könnten.
Dazu gehöre natürlich auch die Einhaltung der Gesetze und anderer Regeln. „Wir haben eine Pflicht gegenüber dem Staat und natürlich auch gegenüber uns selbst", findet Kemal Kort.
Im vierten Teil unserer Serie geht es um einen Gesprächskreis in der Stadtbücherei.