Augustdorf. Viel Deutsch spricht Tican (Name von der Redaktion geändert) nicht. Dafür entschuldigt er sich im LZ-Gespräch mehrmals – gern würde er das ändern. Er lebt seit neun Monaten in Deutschland und seit einem halben Jahr in der Jugendsiedlung Heidehaus. Einen Schulplatz hat er noch nicht, da er demnächst zu seiner Familie nach Krefeld ziehen wird.
Das Heidehaus betreut seit 2014 junge Flüchtlinge. Ende 2015 sind die Anfragen von Jugendämtern gestiegen, so dass der freie Träger neun zusätzliche Plätze im Gästehaus einrichtete. Inzwischen leben 15 jugendliche Flüchtlinge im Alter zwischen 16 und 17 Jahren auf dem Gelände, und zwar auf die verschiedenen Wohngruppen verteilt, damit sich die Neuen schnell integrieren, erzählt Leiter Jerome Köhler.
In der Jugendsiedlung Heidehaus leben mehrfach sozial benachteiligte Jugendliche, die vorübergehend oder auf Dauer nicht mehr bei ihren Familien leben können. Es gibt insgesamt 81 stationäre Plätze mit unterschiedlichen Wohn- und Ausbildungsformen.
Das Gästehaus ist renoviert, die Betreuer haben für die Zimmer der Jugendlichen sogar kleine Fernseher organisiert. Tican findet es okay im Heidehaus, begeistert ist er allerdings nicht, denn seine Familie ist ihm im Dezember von Afghanistan nach Deutschland gefolgt und lebt in Krefeld. Sobald sie eine Wohnung zugewiesen bekommt, darf auch Tican bei ihnen leben – doch das dauert bislang.
Wie klappt das Zusammenleben der Jugendlichen untereinander? „Wir haben überwiegend positive Erfahrungen gemacht", erklärt Jerome Köhler. Klar gebe es auch mal Streit, das sei normal. Sein Stellvertreter, Gregor Jantzik, hat festgestellt, dass einige junge Männer angesichts der teilweise dramatischen Flucht aus ihrem Heimatland sogar außergewöhnlich viel Verständnis entwickelten.
„Vieles ist learning by doing", erzählen die Leiter über ihre pädagogische Arbeit mit jungen Menschen mit Migrationshintergrund. Derzeit würden wegen des Fastenmonats Ramadan sogar die Dienstzeiten der Mitarbeiter geändert. Die Jungen dürften Essen mit auf die Zimmer nehmen, was normalerweise nicht erlaubt sei. Die Jugendlichen verschiedener Nationalitäten kämen miteinander klar, so Gregor Jantzik.
Einer der Jugendlichen habe einen Anschlag nur überlebt, weil er sich im Auto tot gestellt hatte, während Onkel und Tante dabei gestorben seien, schildert Köhler. Einem anderen platzten beide Trommelfelle bei einer Bombenexplosion. Viele seien traumatisiert, gibt Gregor Jantzik zu. Er geht davon aus, dass für einige Jugendliche langfristig therapeutische Hilfe in Anspruch genommen werden muss.
Tican ist aus Afghanistan über die Türkei zu Fuß und mit dem Bus nach Deutschland geflüchtet. Einen Monat hat die Reise gedauert. Eltern, drei Schwestern und vier Brüder haben es nach Krefeld geschafft. Er nutzt den ehrenamtlichen Sprachunterricht eines pensionierten Lehrerehepaars in Augustdorf, um Deutsch zu lernen. Sein Traumberuf sei Automechaniker.