Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt
|
vor knapp einer Woche ist der Prozess zu den tödlichen Schüssen in der Bachstraße vor dem Landgericht Detmold zu Ende gegangen. Ein 43-jähriger Familienvater wurde hier im Januar am hellichten Tag auf der Straße erschossen. Kurz davor hatte das Opfer mit seinem Sohn (20) und dessen Cousin (24) den jungen Schützen selbst körperlich angegriffen. Der 19-Jährige zog als unmittelbare Reaktion darauf die Waffe - und rächte sich. Davon geht das Gericht abschließend aus. Das Trio hatte in der Sekunde längst von ihm abgelassen. Heute möchte ich mit Ihnen teilen, warum die Tragik des Falls so viel tiefer geht. Noch mal das Urteil in Kürze: Die Große Jugendkammer hat den Schützen wegen Totschlags zu achteinhalb Jahren Haft nach Jugendstrafrecht verurteilt, seinen wegen Beihilfe mitangeklagten Kumpel (ebenfalls 19) sprach die Kammer frei. Trotz eines „komischen Bauchgefühls“ konnte das Gericht dem jungen Detmolder nicht nachweisen, ob ihm in dem Moment wirklich klar war, dass sein Kumpel die Waffe dabei hatte und einsetzen würde. Keine Perspektive mehr?Als seine Mutter den Freispruch an diesem späten Freitagnachmittag im Saal vernimmt, stößt sie ein lautes und befreites „Yeah“ heraus, als wäre sie gerade auf einem Rockkonzert. Der Jubel wird dem nicht gerecht, was die Vorsitzende Richterin und auch die Jugendgerichtshilfe in den Stunden zuvor über die Vergangenheit der beiden jungen Männer dort auf der Anklagebank ausgeführt haben. Wer sich alles geballt angehört, könnte glauben, für beide gebe es kaum noch eine Perspektive. Fast eine Stunde braucht die Richterin, um vorherige Urteile zu verlesen, die die Kammer in ihr eigenes mit einbeziehen muss - und wegen denen die beiden 19-Jährigen zum Zeitpunkt des letzten Prozesstages bereits in Strafhaft sitzen. Die damals gemachten Feststellungen des Gerichts zeichnen ein Bild von Brutalität und sinnloser Gewalt. Es geht um Drogen, Diebstähle und etliche Übergriffe. Wer schief guckt, wird verprügelt - so das Schema. Die beiden Freunde sind Teil einer Jugendgang gewesen, die in Detmold Angst und Schrecken verbreiteten. Die Jugendgerichtshilfe macht in ihrem Bericht dann deutlich, dass man auf beide Angeklagte mit ihren gerade einmal 19 Jahren „pädagogisch keinen Einfluss“ mehr nehmen könne. Beiden scheint ein väterliches Vorbild zu fehlen. Der Vater des Schützen hat Deutschland nach etlichen Gefängnisaufenthalten verlassen. Der Mitarbeiter der Jugendgerichtshilfe vermutet, dass der 19-Jährige selbst als Kind durch diverse SEK-Einsätze, Durchsuchungen und Festnahmen traumatisiert worden sei. Unbändige WutVielleicht erklärt das ein kleines Stück von dieser unbändigen Wut, die in dem 19-Jährigen seinen Taten nach schlummert. Auch sein nun freigesprochener Kumpel hat laut Jugendgerichtshilfe das letzte Mal vor neun Jahren Kontakt zum leiblichen Vater gehabt, die Mutter schaffe es nicht, ihn zu begrenzen. „Sie steht immer hinter ihm.“ Egal, was er anstellt. Egal, wie brutal er dabei vorgegangen ist. Was macht man mit solchen jungen Menschen, die Gewalt offenbar als den einzigen möglichen Weg für sich begreifen? Nach dem Urteil bleibt vor allem Resignation. Wird der Freispruch eine Kehrtwende des Mitangeklagten bedeuten? Wir der Täter sich persönlich und menschlich weiterentwickelt haben, wenn er aus der Haft entlassen wird? Die Fragen wird niemand beantworten können. Das komische Bauchgefühl bleibt. Gibt es weitere Themen aus der Kriminal- oder Gerichtsberichterstattung, die Sie bewegen oder über die Sie mehr erfahren möchten? Schreiben Sie gern eine Mail an jkoenig@lz.de. Ich freue mich auf den Austausch mit Ihnen. Viele Grüße aus der Redaktion und eine ruhige Ferienzeit, Janet König |
|