Erdogan-Gegner verhaftet: Lage in der Türkei hat Folgen für OWL

Bielefeld. &bdquo;Verbale Anfeindungen sind an der Tagesordnung“, sagt Yasemin Göker, Präsidentin des Ablegers der türkischen Partei CHP in der Region Münster-Bielefeld. Das sei seit Jahren so. Und vielleicht könnte es noch schlimmer werden: Denn die Situation in der Türkei ist extrem angespannt, nachdem Ekrem İmamoglu, CHP-Politiker, Oberbürgermeister Istanbuls und größter politischer Rivale des umstrittenen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, verhaftet wurde. Sicherheitsbehörden beobachten derweil, dass sich die aufgeladene Stimmung bis nach NRW zieht.

İmamoglu war am vergangenen Mittwoch festgenommen und schließlich am Sonntag wegen Korruptionsvorwürfen in Untersuchungshaft überführt worden. Zudem sollen Terrorermittlungen gegen den Politiker der sozialdemokratischen Partei geführt werden. Schon früh kamen Stimmen auf, die hinter der Verhaftung und den Ermittlungen ein politisches Motiv sehen. İmamoglu gilt als größter Rivale Erdogans und wird als Präsidentschaftskandidat gegen den umstrittenen AKP-Politiker antreten – das entschieden die CHP-Mitglieder noch während İmamoglus Untersuchungshaft.

Auch die Bielefelder CHP-Anhängerin Yasemin Göker sieht in den Maßnahmen gegen İmamoglu Kalkül. &bdquo;Es ist eine Methode, um die Opposition auszuschalten. Und das führt schleichend zu einer Abschaffung von Rechtsstaat und Demokratie.“ Schon seit Jahren sei die Stimmung in der türkischen Diaspora angespannt. &bdquo;Es haben sich verschiedene politische Lager entwickelt, Diskussionen über Politik werden oft vermieden“, sagt Göker. &bdquo;Und die Lage könnte sich noch weiter verschärfen.“ Sowieso: Sie und ihre CHP-Mitstreiter aus OWL seien jetzt schon und seit Jahren regelmäßig verbalen Anfeindungen ausgesetzt.

Situation sorgt für hohe Emotionalisierung Konflikte in der Türkei haben schon seit vielen Jahren ein enormes Emotionalisierungspotenzial in Deutschland. Zum Beispiel, wenn es um die Konflikte zwischen Türken und Kurden geht.

Dass die aktuelle Situation in der Türkei tatsächlich viele türkischstämmige Menschen aus OWL emotionalisiert, zeigt sich deutlich. &bdquo;Ich habe mich bisher bewusst zurückgehalten und keine politischen Beiträge in den sozialen Medien veröffentlicht. Doch angesichts der aktuellen Lage in der Türkei kann ich nicht länger schweigen“, sagt Sevgi T. aus Bielefeld, die aus Sorge vor Repressionen nicht ihren ganzen Namen veröffentlicht haben möchte. &bdquo;Die zunehmende Ungerechtigkeit ist nicht mehr zu ertragen – unschuldige politische Gegner werden ins Gefängnis gesteckt. Es ist an der Zeit, hinzusehen und die Stimme zu erheben.“

Auch der Bielefelder Suat Toprak ist von den Ereignissen erschüttert. ,,In einer Welt, in der Demokratie, Grundrechte und eine unabhängige Justiz als Grundpfeiler eines freien Lebens gelten, stellt sich für mich die Frage: Kann man in einem Land Urlaub machen, in dem diese Werte nicht existieren?“, fragt er. &bdquo;Wir unterstützen die Länder, die ihre Bürger unterdrücken, nicht. Ohne Freiheit gibt es keine Zukunft.“ Ähnlich und zugleich kämpferisch äußert sich auch Gülay P. aus Bielefeld. &bdquo;Für uns könnte dies auch die letzte Chance sein. Wir dürfen jetzt nicht aufgeben. Nicht nur für İmamoglu, sondern für uns, für die Demokratie und für die Zukunft, müssen wir kämpfen.“

AKP-Fans und Graue Wölfe unterstützen Festnahme Verschiedene Reaktionen sind aber auch aus dem Erdogan-Lager zu beobachten, etwa in sozialen Medien. Anhänger des umstrittenen Präsidenten unterstützen beispielsweise die Verhaftung İmamoglus, posten entsprechende Aussagen von der AKP oder des Präsidenten selbst. Ein Vorstandsmitglied des OWL-Ablegers der &bdquo;Union Internationaler Demokraten“, einer AKP-Lobbyorganisation, verbreitete beispielsweise Aussagen des türkischen Justizministers, der die Verhaftung İmamoglus verteidigte.

Von offizieller Seite sogenannter &bdquo;türkische Einflussnahmeakteure“ habe es bisher noch keine Äußerungen zu den Geschehnissen in der Türkei gegeben, berichtet eine Sprecherin des NRW-Verfassungsschutzes. Beim Nachrichtendienst stellen die Experten derweil vereinzelt fest, dass türkische Rechtsextreme (sogenannte Graue Wölfe) die Verhaftung positiv bewerten. In der Türkei selbst hat die Festnahme massive Proteste ausgelöst, mehrere Demonstrationen gab es in der Folge auch in NRW – etwa in Bielefeld.

Der Nachrichtendienst hält es derweil auch für möglich, dass die Ereignisse künftig auch bei Anhängern der kurdischen PKK in NRW eine Rolle spielen können. Grund sind angestrebte Friedensprozesse zwischen PKK und türkischer Regierung. Mit İmamoglu als starkem Oppositionsführer oder gar möglichem Präsident hätten die Anhänger womöglich einen stärkeren Rückhalt bei entsprechenden Verhandlungen. &bdquo;Diese Möglichkeit scheint durch die Verhaftung zunächst weggefallen zu sein“, urteilt die Verfassungsschutzsprecherin.

Sicherheitsbehörden haben Entwicklungen im Blick Aus Sicherheitskreisen heißt es derweil, man behalte die Lage in der Türkei und in NRW genau im Blick, um im Falle einer möglichen weiteren Zuspitzung entsprechend reagieren zu können. &bdquo;Wir haben in NRW viele Erdogan-Anhänger, aber natürlich sind auch andere politische Lager vertreten. In der Vergangenheit haben sich Konflikte aus der Türkei auch hierhin verlagert. Das Risiko möglicher Konfrontationen haben wir im Blick“, sagt Erich Rettinghaus, NRW-Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft.

Dass die eskalierende Situation in der Türkei hierzulande weitreichende Folgen haben könnte, die womöglich in gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der politischen Lager enden, glaubt der Bielefelder SPD-Politiker Riza Öztürk nicht. &bdquo;Sicherlich wird es verbale Anfeindungen und vielleicht sogar bedrohende Mails geben. Eskalieren wird die Lage hier in OWL aber nicht“, sagt er. Das sei bei anderen Konflikten in der Türkei anders, etwa bei nationalen oder religiösen Themen.

Die Bielefelder CHP-Chefin Yasemin Göker befürchtet derweil etwas ganz anderes. &bdquo;Die Situation in der Türkei polarisiert die ganze türkische Diaspora hier in Deutschland. Wenn es so weitergeht, spaltet sich die Community komplett auf und entfernt sich voneinander.“ Das Gemeinschaftsgefühl der in OWL lebenden türkischstämmigen Menschen gehe durch die politische Lage in der Türkei verloren. &bdquo;Leider müssen wir davon ausgehen, dass die Verhaftung von İmamoglu erst der Anfang war. Und weitere Maßnahmen hätten noch weitreichendere Folgen für uns“, sagt sie.

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