Kampf gegen Messergewalt: So unterrichtet die Bielefelder Polizei eine sechste Klasse

Bielefeld. Stimmt Kai Rosins Berechnung, dann könnte es in Bielefeld bereits in zwei Jahren jeden Tag eine Messerstraftat geben. Ein Jahr später wären es schon fast zwei. Kriminalhauptkommissar Rosin und die Polizei Bielefeld gehen deshalb neue Wege: in die Schulen der Stadt. Mit Prävention wollen sie Kinder früh erreichen und ihnen beibringen: &bdquo;Ein Messer in der Tasche ist nicht cool.“

Montagmorgen, kurz nach 10 Uhr. Vor der Hans-Ehrenberg-Schule, einem Gymnasium im Bielefelder Süden, parkt ein Polizeiauto. Für die 6c im ersten Obergeschoss steht jetzt eigentlich Deutsch auf dem Stundenplan. Kai Rosin von der Präventionsstelle der Bielefelder Polizei will mit den Schülern jedoch über ein anderes Thema sprechen: über Messergewalt.

Rosin, schwarz gekleidet, langer Bart, trägt seine gräulichen Haare zum Zopf gebunden. Er blickt auf eine lange Laufbahn bei der Polizei zurück. Seit Jahren befasst er sich mit der Frage, wie Kriminalität eingedämmt werden kann. Gerade Messerstraftaten treiben ihn um. Die Zahlen zeigen: Die Fälle gehen in Bielefeld und in anderen Städten deutlich nach oben.

180 Messerstraftaten in Bielefeld im Jahr 2024 In der größten Stadt in OWL wurden im vergangenen Jahr rund 180 Taten erfasst. Immer öfter sind Jugendliche und sogar Kinder an den Taten beteiligt, immer mehr Minderjährige tragen laut Experten ein Messer bei sich. Rosin zeigt den Schülern die neusten Entwicklungen auf einer digitalen Tafel, eingerahmt von Hausaufgaben-Notizen und einem Leitfaden für einen Englischtest.

Die Bielefelder Polizeipräsidentin Sanda Müller-Steinhauer hat der Messer-Prävention, besonders bei jungen Menschen, eine hohe Priorität zugeschrieben. Ihre Bielefelder Behörde ist mit der Messerprävention an Schulen Vorreiter in NRW. Schon an elf Schulen in der Stadt wurden Sechstklässler sensibilisiert. Eine Polizeisprecherin betont: &bdquo;Um eine Wende in der Kinder- und Jugendkriminalität zu erreichen, müssen wir dorthin gehen, wo sich Kinder und Jugendliche aufhalten.“ Die sechste Klasse sei bewusst gewählt worden. Auch wenn die Schüler noch jung sind, sei es wichtig, sie frühzeitig zu erreichen.

.responsive23-J9i4k1BRjiPZE2Ay-donut-messerdelikte-nrw { width: 100%; padding-top: 100%; } @media (max-width: 600px) { .responsive23-J9i4k1BRjiPZE2Ay-donut-messerdelikte-nrw { padding-top: 100%; } } @media (max-width: 360px) { .responsive23-J9i4k1BRjiPZE2Ay-donut-messerdelikte-nrw { padding-top: 142.86%; } } &bdquo;Wie lang muss ein Messer sein, um tödlich zu sein?“ Wenn Rosin zu erzählen beginnt, hören die Sechstklässler des Hans-Ehrenberg-Gymnasiums gebannt zu. &bdquo;Ein Messer bei sich zu haben, ist ziemlich dumm“, sagt der 59-Jährige. Dann lässt er die rund 11 Jahre alten Schülerinnen und Schüler schätzen: &bdquo;Wie lang muss ein Messer sein, um tödlich zu sein?“ Ein Junge überlegt: 20 Zentimeter. Ein Mädchen erwidert, es komme darauf an, wie spitz die Waffe sei. Ein anderer Schüler meint, etwa neun Zentimeter müsste die Klinge lang sein. Rosin schüttelt den Kopf. Er hält Daumen und Zeigefinger dicht zusammen, drückt ein Auge zu. &bdquo;Es reicht bereits ein Zentimeter.“ Die Schüler raunen.

Ein paar eigene Erfahrungen, Diskussionen, Fragen und Videoclips: Das Präventionskonzept versucht, die Schüler so genau wie möglich aufzuklären. So erzählt beispielsweise ein verurteilter Messerstecher in einem Video, dass er sein Leben und das seines Opfers zerstört habe – auch weil er seine Familie im Stich gelassen habe. Der SEK-Beamte Victor berichtet von einem Einsatz, bei dem er beinahe auf einen Mann schießen musste, der sein Messer nicht aus der Hand geben wollte. Und Markus erzählt, wie er nach dem Feiern von einer Person mit Messer schwer verletzt wurde.

Kinder können irgendwann selbst zu Vorbildern werden An anderer Stelle geht es darum, wie Messer in der Öffentlichkeit transportiert werden sollten – nämlich nicht griffbereit. &bdquo;Am besten verstaut im Rucksack – sodass mindestens vier Handgriffe nötig sind, um das Messer zu ziehen“, sagt er. Zum Schutz dienen ein Messer oder andere Waffen sowieso nicht, betont Rosin. Man wisse nie, was das Gegenüber macht oder dabei hat, oder was der Kontrahent tut, wenn er an die Waffe gelangen sollte. Die bessere Wahl für alle: ein sogenannter Schrill-Alarm, der beim Betätigen einen ohrenbetäubenden Lärm von sich gibt und so für Aufmerksamkeit sorgt. &bdquo;Das wollen Täter am wenigsten“, erklärt er.

Mittlerweile scheinen auch andere Kreispolizeibehörden Interesse am &bdquo;Bielefelder Konzept“ zu haben. Womöglich setzen sie bald ebenfalls auf Messerprävention in den Schulen. Für die Schulen und die Polizei ist die Hoffnung generell nicht nur, dass die Schüler sensibilisiert werden, sondern dass sie die Informationen auch in die Familien tragen: dass ein Messer in der Tasche kein Schutz bedeutet. Dass in Bedrohungssituationen Weglaufen die bessere Entscheidung ist. Dass eigene Freunde davon abgehalten werde sollten, solche Waffen bei sich zu tragen. Dass ein paar Sekunden, in denen das Messer gezogen wird, ein ganzes Leben zerstören können.

&bdquo;Habt ihr Vorbilder?“, will Rosin zum Abschluss wissen. Und wie die Kinder welche haben! Eine Schülerin nennt Ärzte, ein anderer die Polizei, ein weiterer Schüler den Fußballer Cristiano Ronaldo. Überraschend oft sind es aber Brüder und Schwestern, Eltern oder Familienangehörige. Für Rosin ein Steilpass: &bdquo;Vielleicht seid ihr auch irgendwann Vorbilder für jemanden“, mahnt er. Für kleine Geschwister, für Cousins und Cousinen oder für Freunde. Und gute Vorbilder sollten kein Messer bei sich tragen.

Hinweis: In diesem Leitfaden (pdf) des Landeskriminalamts Baden-Württemberg erhalten Sie weitere Informationen zu jugendtypischen Waffen und Gegenständen.

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