Detmold (dpa). In einem der letzten großen NS-Prozesse steht seit Donnerstag ein früherer SS-Wachmann aus dem Konzentrationslager Auschwitz vor dem Detmolder Landgericht. Der 94-jährige Reinhold Hanning muss sich wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 170.000 Fällen verantworten. Am ersten Verhandlungstag machte er keine Angaben zu den Vorwürfen. Neben Dutzenden Journalisten aus dem In- und Ausland verfolgten auch frühere KZ-Insassen den Prozessauftakt.
Hanning war in den Jahren 1943 und 1944 als Angehöriger des SS-Totenkopf-Sturmbanns Auschwitz im Stammlager eingesetzt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Beihilfe bei der sogenannten "Ungarn-Aktion" vor - der gut dokumentierten Deportation und Ermordung von Juden aus Ungarn 1944. Er habe die Tötungsmethoden im KZ gekannt und mit seinem Einsatz als Wachmann zum Funktionieren der Maschinerie beigetragen.
Hanning schwieg zum Prozessauftakt und ließ von seinen Anwälten nur Angaben zu seiner Person verlesen. Er hatte bereits vor dem Prozess eingeräumt, in Auschwitz eingesetzt gewesen zu sein. Eine Beteiligung an Tötungshandlungen hat er aber bestritten. Die Verteidigung zweifelt den Wert dieser Aussage allerdings an. Staatsanwaltschaft und Polizei hätten ihn 2014 zu Hause überrascht und dann vernommen.
Ein Zeuge schilderte vor Gericht das unmenschliche Leid in Auschwitz. Wachleute hätten durch den Zaun geschossen. Gerade angekommene Gefangene hätten auf dem Weg zu den Gaskammern um Wasser gebettelt, ohne zu wissen, was passiere. "Eine halbe Stunde später waren sie tot", sagte der Auschwitz-Überlebende Leon Schwarzbaum im Zeugenstand. Der 94-Jährige forderte Hanning in direkter Ansprache auf, zu sagen, was damals passiert sei. Hanning reagierte darauf nicht.
Laut Anklage wurden mehr als drei Viertel der in Zügen angekommenen Menschen direkt zu den Gaskammern getrieben. Hunderte seien später erschossen worden.
Holocaust-Leugnerin sorgt für Aufruhr
Ursula Haverbeck-Wetzel (r), mehrfach verurteilte Holocaustleugnerin, wird vor dem Gebäude der Industrie- und Handelskammer (IHK) von Demonstranten bedrängt.
Vor dem Prozessauftakt gab es einen Tumult um die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck aus Vlotho. Die 87-Jährige wurde nach Polizeiangaben vor dem Besuchereingang körperlich bedrängt und musste von Beamten vor Übergriffen geschützt werden. Die Aktivisten der Initiative "Gegen das Vergessen" wollten verhindern, dass sich Haverbeck in die Schlange der Wartenden am Gerichtssaal einreihen konnte, um in den Prozess zu gelangen: "Sie verhöhnen die Opfer", riefen sie der alten Frau entgegen, die stumm blieb. Anschließend habe sie mit einem Auto den Ort verlassen, sagte ein Sprecher.
Am Mittwoch hatten Holocaust-Überlebende in Detmold zu einer Pressekonferenz eingeladen und Stellung zum Prozess in Detmold bezogen. In unserem Video sehen Sie eine Zusammenfassung der Konferenz.