Kreis Lippe. Lipper können einfach kein Auto fahren. Das wissen nicht nur alle Bielefelder, das weiß auch Google. Gibt man nämlich dort„Lipper k" ein, ist der erste Vorschlag „Lipper können kein Auto fahren". Da muss ja was dran sein, sonst würden die Lipper doch nicht ständig abwürgen, die grüne Ampelphase verpassen und doch noch ein zehntes Mal rangieren, um in die sechs Meter große Parklücke zu kommen... mit einem Smart. Auch Victoria Freser merkt, dass sie sich in diesem Thema ganz schön verlieren kann. Für das Studenten-Projekt der LZ geht sie der Sache auf die Spur.
Ich stelle mich ins Parkhaus am Finanzamt in Detmold. Hier musste ich übrigens weder mein Auto neu starten noch dreimal umlenken, um durch die engen Kurven zu kommen. Wieso erwähne ich das? Genau das erwarte ich hier. Ein Parkhaus gehört zur Meisterdisziplin des Autofahrens. Warum? Es ist eng, es ist ungewohnt, und dann muss man auch noch tunlichst den Schildern folgen, um nicht plötzlich im Gegenverkehr zu sein. Dann heißt es, nah genug an den Ticketautomaten zu kommen. Und da fangen schon beim vierten Auto, das ich sehe, die Probleme an.
Das Fenster wird heruntergelassen und ein langer Arm räkelt sich athletisch Richtung Knopf. Gefühlte drei Zentimeter fehlen, sie sind einfach nicht da, und der Arm wird auch nicht länger. Also: Tür auf, hinauslehnen, dann klappt es. Beim Parken funktioniert das Ganze dann besser. Schwupps geht es vorwärts in die Parklücke. Jetzt muss ich aber mal fragen. Die Dame steigt aus, ich schätze sie auf Mitte 40.
Vielleicht klingt es frech, aber aus meiner Sicht ist die Frage berechtigt: „Sie haben den Führerschein wahrscheinlich schon etwas länger. Wie kommt es, dass man sich dann entfernungstechnisch immer noch so vertut?" Die Dame, die übrigens anonym bleiben möchte, wirkt verdutzt, hat aber eine plausible Erklärung, denn eigentlich klappe es immer. Nur dieses Mal sei sie vom Radio abgelenkt gewesen. Als ich sie mit meinem Vorurteil konfrontiere, lacht sie und stimmt mir sogar zu: „Ja, vielleicht liegt es sogar daran."
Die Lipper wissen es also. Trotzdem lege ich mich weiter auf die Lauer, aber dieses Mal dauert es. Alle Lipper fahren vernünftig ein, fahren vernünftig aus, bis es passiert. Das Rangierproblem. Der VW Golf möchte einfach nicht in die Lücke passen. Zugegeben, die Lücke wirkt schon sehr eng, aber machbar. Trotzdem entscheidet sich der Fahrer mit LIP-Kennzeichen, eine andere Parklücke zu wählen.
2015 gab es in Deutschland 2,6 Millionen Verkehrsunfälle und 36 Millionen Fahrzeugführer. Die meisten Unfälle passierten durch missglückte Wendeversuche und nicht beim Parken – übrigens laut einer aktuellen Studie im Jahr 2017 OWL-weit am häufigsten in Bielefeld und am seltensten in Lippe.
Der Test bestätigt: Im Parkhaus stellen sich die Lipper nicht schlecht an. Aber woher kommt dann dieses Vorurteil? Ich frage beim Landrat des Kreises Lippe an. Das Vorurteil kennt man auch da, woher es kommt, weiß aber keiner.
Dafür spreche ich mit Torben Nebel. Er ist professioneller Rallye- und Präzisionsfahrer und das schon für Serien wie „Cobra 11" oder Hollywood Produktionen wie „Inferno". Er ist tatsächlich in Detmold geboren und hat in Lippe auch seinen Führerschein gemacht. Also ein echter Lipper. Er sagt, es ist nicht kennzeichenabhängig, ob man Autofahren kann oder nicht, er kennt genug Menschen, die wirklich schlecht fahren und auch sehr viele, die sehr gut fahren. Während seiner Fahrschulzeit auf der Autobahn habe sein Fahrlehrer sogar ein kleines Nickerchen gemacht. Ich werte das als Plus für seine Fahrkünste. Und damit als Pluspunkt für die Fahrweise der Lipper.
Was ist denn jetzt dran am Gerücht? Für meine Recherchen bin ich gefühlte zehn Mal durch ganz Lippe gefahren, habe mit einigen Menschen gesprochen und durfte feststellen, so schlecht fahren die Lipper gar nicht. Und einen richtigen Profi haben die Lipper auch zu bieten. Weiter geht’s für mich. Rot... Orange... Grün! Kupplung. Gas. Abgewürgt. Mist.
Video-Interview mit dem Rennfahrer Torben Nebel