Ausstellung in Werther: Neue Einblicke in Netzwerke westfälischer Künstler

Werther-Arrode. &bdquo;Das ist auch ein Segen der Arbeit hier, dass es uns möglich ist zu forschen“, hat David Riedel, Leiter des Museums Peter August Böckstiegel, kürzlich im Interview mit dieser Redaktion betont. Wie segensreich die Ergebnisse seiner Forschungen sind, spiegelt die neue Ausstellung wider, die ab Sonntag unter dem Titel &bdquo;Westfälische Wege in die Moderne“ in Werther-Arrode zu sehen ist.

Über mehr als drei Jahre hinweg hat der Kunsthistoriker, der seit zehn Jahren das Museum verantwortet, der in Bielefeld 1907 gegründeten Künstlergruppe &bdquo;Rote Erde“ und deren Abspaltung &bdquo;Der Wurf“ (1919) nachgespürt und so eine Lücke der Forschung zum Entstehen und Werden der westfälischen Moderne geschlossen.

Entstanden ist dabei eine hochinformative aber keinesfalls akademisch dröge Ausstellung, sondern eine bildmächtige mehr als 100 Gemälde, Arbeiten auf Papier, Skulpturen und auch Silberschmuck zeigende Schau. Sie spiegelt, wie diese beiden Künstlergruppen die Moderne in die Provinz nach Westfalen brachten und dabei wie Katalysatoren für deren Entwicklung wirkten.

Großes Vorbild van Gogh Wer die Ausstellungsräume betritt, stößt eingangs auf Arbeiten der Künstlergruppe &bdquo;Rote Erde“ – der Begriff ist ein Synonym für Westfalen, wie Riedel aufklärt. Die wurde 1907 von Schülern der Bielefelder Kunsthandwerkerschule wie Peter August Böckstiegel, Heinz Lewerenz, Ernst Sagewka und Max Westhäuser gegründet, trat vor allem mit heimatverbundenen Künstlerfesten in Erscheinung und betrieb – wie viele der in dieser Zeit aus dem Boden schießenden Künstlergruppen – vor allem auch Netzwerkarbeit in eigener Sache, auch mittels Ausstellungen.

Ihre Arbeiten, das zeigt die Ausstellung sehr schön, sind in diesen frühen Jahren noch von der eher akademischen Kunstauffassung ihres Lehrers Ludwig Godewols geprägt, beginnen sich aber immer stärker abzulösen. &bdquo;Vor allem van Gogh war ihr großes Vorbild“, betont Riedel und ergänzt: &bdquo;Zwischen 1912 und 1914 brach sich dann das Malerische, am Impressionismus geschult und zunehmend expressiver werdend, Bahn.“

Eben dieser Prozess wird gleich in den ersten beiden Räumen deutlich. Zu erkennen ist, wie Böckstiegel dabei schnell zu einem Motor der Gruppe wird. Seine Bilder, wie das eingangs zu sehende &bdquo;Im Steinbruch“ von 1912, sind nicht nur großformatiger, sondern wagen sich auch deutlich stärker zu einer expressiven Farbgebung und einer stärkeren Abstraktion vor als die Arbeiten seiner Malerfreunde. Im Zentrum der Werke dieser Vorkriegsjahre stehen Porträts, Landschaftsbilder und Aktdarstellungen. Auffällig: gesellschaftskritisch ist die Kunst der &bdquo;Rote Erde“-Künstler eher nicht.

Die leidende Kreatur Das ändert sich nach dem Ersten Weltkrieg, den die meisten von ihnen als Soldaten erlebt haben. Kai-Uwe von Hollen, der an der Ausstellung mitgearbeitet hat, betont: &bdquo;Das Trauma des Ersten Weltkrieges zog in allen Gesellschaftsbereichen Konsequenzen nach sich. Es folgte ein Findungsprozess. Hier trat auch die junge, moderne Künstlerschaft auf den Plan, die Anspruch darauf erhob, die politische und gesellschaftliche Zeitenwende mitzugestalten.“

In der Schau wird diese Suche nachvollziehbar, denn neben den üblichen Landschaftsmotiven, Porträts und Stillleben drängen religiöse Motive plötzlich in den Vordergrund (sehr schön bei Victor Tuxhorn zu sehen). Besonders in den Holzschnitten, die in dieser Zeit stark in Erscheinung treten, wird die leidende Kreatur gespiegelt wie zum Beispiel in Böckstiegels &bdquo;Klage der Frauen“ von 1919. Aber auch die Arbeiter als treibende Kraft gesellschaftlicher Veränderung rücken in den Fokus wie in Max Westhäusers imposantem Holzschnitt &bdquo;Volksredner“ von 1920, der das Ausstellungsplakat und den Titel des sehr informativen Ausstellungskatalogs ziert.

Doch in diesen Jahren kommt es auch zum Bruch innerhalb der Künstlergruppe, die sich 1929 auflösen wird. Herbert Behrens-Hangeler, Heinz Lewerenz, von dem wunderbare Arbeiten in der Schau zu sehen sind, und Hermann Freudenau verlassen die Gruppe und gründen am 15. November 1919 mit &bdquo;Der Wurf“ eine neue, politisch und künstlerisch radikalere, avantgardistischere Künstlervereinigung. Sie verspotten die &bdquo;Rote Erde“-Künstler – allen voran Böckstiegel – fortan als &bdquo;Heimatgruppe“. Und wie es sich für Avantgardisten gehört, treten sie mit dem Gründungsmanifest &bdquo;An Alle!“ erstmals öffentlich in Erscheinung. Mit &bdquo;Wurf-Abenden“ bringen sie die Presse gleich mal gegen sich auf, liefern vier große Ausstellungen ab, bringen es aber nie auf mehr als zehn Mitglieder (darunter Otto Dix) und gehen Ende der 20er Jahre wieder unter.

Gewinn für die Region Doch ihre Werke hier in Werther-Arrode wieder zu entdecken, ist ein großer Gewinn, denn sie sind oftmals künstlerisch in der Tat wagemutiger, radikaler als viele ihrer &bdquo;Rote Erde“-Kollegen, bewegen sich wie die Werke von Freudenau bereits in die Abstraktion oder schaffen wie Wilhelm Schabbon avantgardistischen Silberschmuck.

Diese Schau ist ein großer Gewinn für die Region. Riedel sieht in ihr &bdquo;einen Startschuss, sich in Kooperation mit anderen Einrichtungen in Westfalen weiter mit dem westfälischen Weg in die Moderne zu befassen“. Ein guter Plan.

Installation zu Künstlerkollektiven Im Studio des Museums ist zudem unter dem Titel &bdquo;Solo mit Kollektiven“ eine Installation der Künstlerin Gabriele Undine Meyer zu sehen. In ihrer Arbeit befasst sich die Bielefelderin mit dem Phänomen der Künstlergruppen. Dazu hat sie Künstlerkollektive vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute erforscht und deren fotografische Selbstinszenierungen dokumentiert. In 60 Bilderrahmen zeigt sie die Gruppenfotos und liefert auf den Rückseiten Infos zu ihnen. Aus diesem Material hat sie zudem interaktive Spiele für Besucherinnen und Besucher ihres Ateliers entwickelt. Zu sehen sind diese und die Hauptausstellung vom 15. Januar bis zum 23. April. Infos unter www.museumpab.de . Der Katalog zur Schau umfasst 270 S. (25 Euro).

Info: Im Studio des Museums ist zudem unter dem Titel &bdquo;Solo mit Kollektiven“ eine Installation der Künstlerin Gabriele Undine Meyer zu sehen.

In ihrer Arbeit befasst sich die Bielefelderin mit dem Phänomen der Künstlergruppen. Dazu hat sie Künstlerkollektive vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute erforscht und deren fotografische Selbstinszenierungen dokumentiert.

In 60 Bilderrahmen zeigt sie die Gruppenfotos und liefert auf den Rückseiten Infos zu ihnen. Aus diesem Material hat sie zudem interaktive Spiele für Besucherinnen und Besucher ihres Ateliers entwickelt.

Zu sehen sind diese und die Hauptausstellung vom 15. Januar bis zum 23. April. Infos unter www.museumpab.de.

Der Katalog zur Schau umfasst 270 S. (25 Euro).

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