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Bundespräsident Steinmeier sieht Desinteresse an Politik als Problem

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Hilfe aus OWL: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (Mitte) und First Lady Elke Büdenbender (l.) begrüßen Liz Mohn, Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung. - © Thomas Kunsch
Hilfe aus OWL: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (Mitte) und First Lady Elke Büdenbender (l.) begrüßen Liz Mohn, Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung. (© Thomas Kunsch)

Kreis Lippe/Berlin. Alles gut in Deutschland? Könnte man meinen. Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Regierung hält – vorerst. Doch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, als gebürtiger Lipper ein Mann klarer Worte, sieht eine Gefahr. Von Angst würde er nie reden, aber das Problem beschäftigt ihn: Die Menschen interessieren sich immer weniger für Demokratie und ohne die Menschen kann es die nicht geben, sagt er.

Eine Debatte im Glashaus der Berliner Politik? „Auf keinen Fall. Die Demokratie hat uns doch erst dahin gebracht, wo wir heute sind", sagt Steinmeier. Er trägt einen Maßanzug, als er das in seinem Berliner Amtssitz Schloss Bellevue formuliert. Die Ärmel hochzukrempeln, ist im Maßanzug schwierig, doch es wirkt so, als täte er genau das.

Steinmeier ist ein politischer Bundespräsident. Er bezieht politisch mehr Stellung als sein Vorgänger Joachim Gauck. Anfang des Jahres rief Steinmeier, der so sehr an den Erfolg einer Jamaika-Koalition geglaubt hatte, die Politik zur Ordnung. Ohne ihn wäre die Zweckverbindung der Großen Koalition zwischen CDU/CSU und SPD wohl nicht zustande gekommen.

Er nahm gerade erst der Debatte um die Fußballnationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan in der unseligen Trikotaffäre mit dem türkischen Präsidenten Erdogan die Schärfe: Ein Treffen mit den Kickern in Berlin, dann eine einordnende und eindeutige Wortmeldung im Internet, die 1,5 Millionen User lasen.

Steinmeier mischt sich ein. Klar, er ist von Haus aus Politiker und nicht Pfarrer wie Gauck. Manchmal aber wirkt es so, als wäre er als Präsident politischer als zu seiner Zeit als Kanzlerkandidat. Von seiner damaligen Bezwingerin Angela Merkel ist derzeit wenig zu hören. Steinmeiers messerscharfer analytischer Verstand hat lange vor der Bundestagswahl 2017 die Gefahr erkannt. Früh warnte er vor antidemokratischen Strömungen und einem Vertrauensverlust der Menschen in die Politik.

Hilfe sucht er in der Heimat. Er lud die Gütersloher Bertelsmann-Stiftung – eine der Denkfabriken im Land – ein, mit ihm Veranstaltungen auszurichten. Moderator: der Präsident selbst. „Forum Bellevue" nennt er das. Bertelsmann-Patriarchin Liz Mohn sitzt in der ersten Reihe, als es auf dem Podium ordentlich zur Sache geht.

Steinmeier hat sich keine Ja-Sager geholt, sondern kritische Köpfe. Einen Belgier, der sein Buch „Gegen Wahlen" genannt hat. Dieser David Van Reybrouck behauptet mal eben, dass Wahlen ein überholtes Instrument seien. Die Angst vor der nächsten Wahl lähme die Politik. Er fordert, bei wichtigen Themen Menschen per Los zu bestimmen, die dann beraten, und führt Beispiele aus Irland und den Niederlanden an.

Dem Belgier gegenüber sitzt ein deutscher Rechtsprofessor. Er äußert eine für die Demokratie verhängnisvolle These: „Viele in Deutschland fühlen sich so wohl, dass sie Politik für überflüssig halten", sagt dieser Christoph Möllers. Das gehe solange gut, wie das demokratische System auf Autopilot geschaltet sei, „aber das ist es bei uns eben nicht mehr".

In eine Partei einzutreten, schrecke viele ab, weil „sie gleich eine Ideologie übergestülpt bekommen". Einzig Politikwissenschaftlerin Donatella della Porta tröstet ein wenig. In ihrer italienischen Heimat wollen die Leute politisch mitmischen, doch wie sie das tun, hat zu Chaos geführt.

Steinmeier macht klar, wie dringend das Problem ist: „In Thüringen haben sie zuletzt kaum genügend Kandidaten für alle Wahlkreise gefunden." Das mag manchen kaltlassen, nur: Wer entscheidet dann über Schwimmbad, Sportplatz, Stadtbibliothek und Straßen?

Der Bundespräsident mag es nicht, wenn das Ende der Demokratie herbeigeredet wird. Dennoch sitzt der Stachel tief. „Wann haben wir den Kompromiss verlernt?", fragt er. Und: „Warum wächst in guten Zeiten die Distanz der Menschen zur Politik?" Und später: „Viele engagieren sich in der Zivilgesellschaft, warum nicht in der Politik? Ist sie zu komplex?" Wenn die Antworten mal so einfach wären.

Die Politikwissenschaftlerin della Porta vermutet: „Geschlossene politische Systeme und Parteien sind für junge Menschen wenig attraktiv." Ist eine Volksbewegung wie die Fünf Sterne in Italien, die jetzt regieren soll, die Lösung? Ratlosigkeit in den Gesichtern.

Vielleicht haben ja die Menschen vergessen, was ihnen die Demokratie seit Jahrzehnten bringt. „Dann müssen wir es ihnen wieder klar machen", fordert Steinmeier. Er wird sich weiter einmischen. 69 Jahre nach der Verabschiedung des Grundgesetzes kämpft dieser Präsident um sein Land. Der Kampf hat gerade erst begonnen.

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