Wieder einmal hat die AfD eine Wahl gewonnen. Auf dem Erdrutsch bei der Landratswahl in Sonneberg folgte nun ein knapper Sieg bei der Bürgermeisterwahl in Raguhn-Jeßnitz. In der 8.800-Einwohner-Gemeinde war es für 51 Prozent der Bürgerinnen und Bürger ganz normal, ihre Stimme dem AfD-Kandidaten zu geben.
Der lokal verwurzelte Landtagsabgeordnete Hannes Loth plakatierte unverfängliche Slogans wie „Feuerwehr stärken“ und „Kita und Schule erhalten“. Die AfD ist die letzte Partei, die in dem Ort wirklich präsent ist. Sie sammelt nicht nur die Unzufriedenen ein, sie bietet nicht nur einen Freiraum für Ressentiments und Ängste aller Art – sie ist auch zur Kümmererpartei geworden.
Die AfD ist in die Räume vorgestoßen, die ihr die anderen Parteien gelassen haben. Das gilt ebenso argumentativ wie rein praktisch: CDU, SPD und FDP haben seit 1990 die Hälfte oder mehr ihrer Parteimitglieder verloren.
Brandmauer gegen die AfD zerbröckelt
In der ostdeutschen Provinz wurden sie nie stark. In der Stichwahl in Raguhn-Jeßnitz trat der AfD-Mann gegen einen Parteilosen an. Wenn SPD-Chef Lars Klingbeil der politischen Klasse im Bund jetzt empfiehlt, „öfter mal raus“ zu fahren und „mit den Menschen im ganzen Land“ zu reden, um nicht nur „die da in Berlin“ zu sein, ist das sicher richtig. Wenn aber die Basis vor Ort fehlt, verpufft der Blitzbesuch.

In Raguhn-Jeßnitz und vielen anderen Orten im ländlichen Osten ist die kommunale Brandmauer gegen die AfD längst zerbröckelt. Die Ausgrenzung der AfD ist gescheitert, schlimmer noch: Sie gewinnt Stärke aus ihrem Schmuddelkinderstatus.
Wenn „die da in Berlin“ in einer Welt multipler Krisen die Lage „eh nicht im Griff haben“, wirkt jedes Pochen auf demokratische Werte wie eine hohle Parole, jede Empörung über den nächsten rechtsextremen AfD-Spruch wie ein Ablenken von eigenen Versäumnissen.
Bezeichnet sich selbst stolz als "rechts"
Björn Höcke und sein Landesverband werden zu Recht vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem beobachtet. Das schreckt aber keinen AfD-Anhänger und keine AfD-Anhängerin mehr ab.
In ihrem aktuellen Hoch wirft die Partei ihre letzten Tarnungen ab. Sie versteckt sich nicht mehr hinter dem Mäntelchen „konservativ“, sondern bezeichnet sich jetzt selbst stolz als „rechts“. Voll Angstlust schauen ihre Vertreterinnen und Vertreter auf die französischen Unruhen: „Frankreich ist uns nur wenige Jahre voraus“, prophezeit Höcke.

Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit hat die AfD-Spitze natürlich nicht. Parteichef Tino Chrupalla glaubt den Arbeitskräftemangel, der die deutsche Wirtschaft lähmt, allen Ernstes mit den 2,5 Millionen hiesigen Erwerbslosen bekämpfen zu können, von denen zwei Drittel langzeitarbeitslos und viele von ihnen kaum vermittelbar sind.
Warum aber lassen die anderen Parteien die AfD so billig davonkommen?
„Hier tritt eine Partei auf den Plan, die die anstehende Transformation ins 21. Jahrhundert systematisch denunziert und für den Erhalt einer Welt eintritt, die es so nie gegeben hat“, sagt der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger.
Daran ist alles richtig. Doch wer die Zumutungen der „anstehenden Transformation“ – ein anderes Arbeiten, einen anderen Umgang mit Ressourcen, eine diversere Gesellschaft – einer veränderungsmüden Öffentlichkeit nicht ehrlich erklärt, wer den Auftrag des Staates zum Schutz der Gesellschaft und privater Freiräume vernachlässigt, wer die AfD als „Schlechte-Laune-Partei“ verniedlicht – der muss sich halt auch nicht wundern.
Deutschland und Europa brauchen eine neue Zukunftserzählung. Die konstruktiven politischen Kräfte müssen sie liefern – und in mühevoller Kleinarbeit dafür sorgen, dass dieser Erzählung noch jemand zuhört.