Söldner-Truppe ohne Führung: Was wird aus der Wagner-Gruppe?

Alles soll mit einer Standpauke Putins begonnen haben. Nach der misslungenen Meuterei durch die Wagner-Truppen am 24. Juni soll der russische Präsident Jewgeni Prigoschin und Co. offenbar in den Kreml einbestellt und ihnen gesagt haben, sie könnten nun weiter unter einem Mann dienen, der eigentlich die ganze Zeit über schon ihr Kommandeur gewesen sei – Andrej Troschew. So berichten es verschiedene Medien, die sich letztlich alle auf einen Artikel der russischen Zeitung &bdquo;Kommersant“ beziehen. Denn nach dem Tod des Chefs der Söldnergruppe Wagner stellt sich die Frage: Wie geht es weiter mit Prigoschins Legionären?

Nach Prigoschins gescheitertem Putschversuch vom 24. Juni war klar, dass Kremlchef Wladimir Putin, alles tun würde, um zu verhindern, dass eine Organisation sich noch einmal so verselbstständigen und aus dem Ruder laufen könnte, wie es mit Wagner geschehen ist.

Deshalb soll Putin schon zu Prigoschins Lebzeiten einen Mann nach vorn geschoben haben, der aus seiner Sicht die Geschäfte übernehmen könnte: Oberst der Reserve Andrej Troschew. Der 61-Jährige, der in Moskau auch &bdquo;Grauhaar“ (Sedoy) genannt wird, hatte sich bereits während grausamer Operationen der Wagner-Gruppe in Syrien einen Namen gemacht.

Auch die Politologin Margarete Klein von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin hält Troschew für einen Kandidaten, der im Sinne des Kreml die Führung von Wagner übernehmen könnte. &bdquo;Er kennt die Söldnergruppe sehr genau, war in Einsätzen dabei und hat sich während Prigoschins sogenannter Meuterei von diesem Vorhaben distanziert“, erläuterte Klein gegenüber dieser Redaktion.

Das mache ihn für den Kreml sicherlich zu einem passenden Nachfolgekandidaten – sowohl für den Fall, dass die Wagner-Gruppe in Gänze bestehen bliebe, als auch, wenn Teile von Wagner unter einem anderen Namen weiterhin ähnliche Aufgaben übernehmen würden, zum Beispiel in Afrika.

Kampferfahrung und Heldentitel Die &bdquo;Süddeutsche Zeitung“ schreibt, Troschew stamme wie Putin und Prigoschin aus Sankt Petersburg und sei dort an einer Artillerieschule ausgebildet worden. Noch zu Sowjetzeiten habe er in Afghanistan gekämpft und für die russische Armee am zweiten Krieg in Tschetschenien teilgenommen, der Putin Anfang der 2000er-Jahre half, seine Macht zu zementieren.

Nach dem Ende seiner aktiven Militärzeit sei Troschew nach Syrien gegangen und habe dort die Logistik der Wagner-Gruppe geleitet, um den syrischen Diktator Baschar al-Assad zu unterstützen. Nach Verdienstorden und -medaillen für seine Einsätze in Afghanistan und Tschetschenien habe Putin ihn auch noch mit der höchsten aller Dekorationen ausgezeichnet: dem Titel eines Helden der Russischen Föderation.

Troschew sei direkt an den militärischen Operationen der Wagner-Gruppe in Syrien beteiligt gewesen, schreibt das Schweizer Portal Journal21.ch unter Bezugnahme auf Einschätzungen der EU und Großbritanniens, die ihn 2021 wegen seines Einsatzes in Syrien auf die Sanktionsliste setzten. Er sei Gründungsmitglied und Exekutivdirektor der Wagner-Gruppe gewesen. Zu seinen engen Mitarbeitern habe auch der Neonazi Dimitri Utkin gehört, der mit Prigoschin im Todesflugzeug saß und auf den der Name der Wagner-Gruppe zurückgeht. Utkin, der sich SS-Runen auf die Schultern hatte tätowieren lassen, galt als ein Verehrer Richard Wagners und Bewunderer des "Dritten Reiches".

Troschew soll Fehler gemacht haben Das Portal &bdquo;Watson“ schrieb bereits am 7. Juli, dass die Wagner-Gruppe Troschew entlassen habe, und nahm dabei Bezug auf einen mit den Söldnern verbundenen Telegram-Kanal. Demzufolge soll Troschew während Prigoschins Meuterei in einem Kontrollcenter gearbeitet und dort wohl Fehler gemacht haben. Dank ihm soll der von Prigoschin inszenierte &bdquo;Marsch der Gerechtigkeit“ bis in die höchsten Kreise des Kremls vorgedrungen sein.

Andere russische Telegram-Kanäle haben ein angeblich vom russischen Geheimdienst (FSB) geleaktes Dokument in Umlauf gebracht, das nahelegt, dass Troschew hochrangige Kremlmitglieder über die geplante Rebellion der Wagner-Gruppe informiert habe.

"Als Putin die Prigoschin-Gruppe zur Standpauke in den Kreml vorlud und dann dort der Name Troschews fiel, mussten sich mehrere Wagner-Kommandanten in der Runde auf die Zunge beißen, um nicht loszulachen" zitiert &bdquo;T-Online“ das oppositionelle russische Medium &bdquo;Meduza“. Demnach hat ein Wagner-Kommandeur ausgesagt, dass Troschew schwer alkoholkrank sei. Manchmal falle er bis zu zwei Wochen aus, wenn die Sucht ihn packe. Dass Prigoschin ihn nicht abgesägt hat, habe schlicht daran gelegen, dass Troschew über zu viele Insiderinformationen verfügte.

Viele Szenarien möglich Auch der dem Kreml nahe stehende Politikexperte Sergej Markow hat auf seinem Telegram-Kanal in einem Szenario Troschew ins Spiel gebracht. Der Militär stehe bereit, die Übernahme von Wagner-Leuten in die Einheiten von Redut zu managen. Dabei handelt es sich um eine weitere Söldnertruppe, die ebenfalls an der Seite der regulären russischen Streitkräfte in der Ukraine agiert. Auch bekannt als Center R, firmiert die Truppe offiziell als russisches privates Militär- und Sicherheitsunternehmen und wird durch Gazprom und den Oligarchen Oleg Deripaska finanziert.

Ob es mit Troschews Karriere so kommt, wie von vielen Medien beschrieben, ist indes völlig unklar, denn neben ihm wird auch noch der General Andrej Awerjanow vom Militärgeheimdienst GRU als Kandidat gehandelt. Putin ließ ihn Ende Juli beim Afrikagipfel in Sankt Petersburg mit den angereisten Staatschefs zusammentreffen. Außerdem ist es gut möglich, dass es gar keinen Big Boss mehr für die geschätzt 25?.000 bis 35.?000 Wagner-Söldner weltweit geben wird, sondern eher Führer kleinerer Einheiten. Experten sehen für die Zukunft ganz unterschiedliche Szenarien:

So könnte nach Einschätzung des russischen Politologen Markow die Wagner-Gruppe zwar bestehen bleiben, würde dann aber einen neuen Eigentümer erhalten, der dem Verteidigungsministerium gegenüber völlig loyal ist. Eine zweite Möglichkeit sieht Markow darin, dass die Gruppe in zwei oder mehrere Teile aufgespalten wird, etwa ein Afrikakorps und ein Ukraine-Korps, die völlig getrennt geführt werden.

Die Wagner-Truppe könnte sich auch auflösen Unklar ist auch, was mit den Söldnern geschieht, die sich derzeit noch in Belarus aufhalten und von denen niemand genau weiß, wie viele es tatsächlich sind. Ein anderes Szenario sieht Markow zufolge vor, dass Wagner aufgelöst wird, und alle Kämpfer, die das wollen, Verträge mit dem Verteidigungsministerium direkt bekommen. Eine weitere Möglichkeit sieht den Wechsel der Söldner zur Einheit Redut vor, womit möglicherweise Troschew ins Spiel käme.

Die Politologin Margarete Klein hält es für &bdquo;unwahrscheinlich, dass Wagner in seiner bisherigen Form und Funktion gänzlich bestehen bleibt“. Wagner sei eingebettet gewesen in ein ganzes Firmengeflecht des Gewalt- und Repressionsunternehmers Prigoschin. Eine solche Akkumulation von ökonomischer und militärischer Macht werde der Kreml nach der Meuterei vom 24. Juni kaum mehr zulassen.

&bdquo;Dem Kreml wird aber daran gelegen sein, die Kommandeure und Söldner von Wagner, die sich nach dem 24. Juni nicht mehr offen gegen den Kreml gestellt haben, unter seine Kontrolle zu bekommen, zum Beispiel in Form einer formal eigenständigen Wagner-Gruppe, die de facto aber durch eine kremlnahe Person kontrolliert wird“, sagte die Russland-Expertin. Auch sie hält es für möglich, dass Wagner gänzlich aufgelöst wird. In diesem Fall könnten Kommandeure und Söldner das Angebot erhalten, anderen privaten Militärfirmen beizutreten, die de facto vom Verteidigungsministerium kontrolliert werden. Auch Klein nennt als Beispiel Redut.

Noch keine Entscheidung Hinter den Auflösungsüberlegungen könnte auch die Sorge stehen, dass das Weiterbestehen des Brandings von Wagner zum Problem für den Kreml werden könnte. So hatte Prigoschin seine Militärfirma immer wieder als eine Art &bdquo;Volksarmee“ präsentiert, die sich von den dekadenten, verweichlichten Eliten unterscheiden würde und die im patriotischen Sinne für die großrussische Idee kämpfte, erläuterte Klein. Sollte der Kreml zu der Schlussfolgerung kommen, dass dieses Narrativ für ihn gefährlich werden könnte, würde es Sinn ergeben, auch den Namen Wagner zu vernichten.&bdquo;Ein erstes Indiz dafür könnte der Bericht über die Zerstörung eines Wagner-Friedhofes sein“, sagte Klein, fügte jedoch hinzu: &bdquo;Aus diesem Fall allein aber schon eine Grundsatzentscheidung des Kreml für den Umgang mit Wagner abzuleiten wäre zu früh.“

Wie es mit der Wagner-Gruppe und Andrej Troschew tatsächlich weitergeht, weiß vielleicht nur ein ganz kleiner Kreis um Putin. Der russische Politikexperte Markow schreibt auf seinem Telegram-Kanal, vielleicht werde auch einfach alles &bdquo;Stück für Stück demontiert“ und es gebe keine einheitliche Lösung mehr. Abschließend heißt es: &bdquo;Die Entscheidung ist noch nicht gefallen.“

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