Für Millionen Versicherte sind drohende erneute Anhebungen der Krankenkassenbeiträge im nächsten Jahr noch nicht vom Tisch. Aus dem Bundeshaushalt 2025 gibt es dafür nun endgültig kein zusätzliches Geld, wie die schwarz-roten Koalitionsfraktionen nach den abschließenden Ausschussberatungen des Bundestags mitteilten. Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) peilt aber noch kurzfristige Schritte an, um Beitragserhöhungen ab Januar zu vermeiden.
Erst Anfang des Jahres hatte es eine Welle kräftiger Anhebungen gegeben. Wegen steigender Milliardenausgaben für die Versorgung nehmen die Probleme noch weiter zu.
Warken sagte in Berlin: «Die gesetzliche Krankenversicherung steht finanziell massiv unter Druck. Die Ausgaben wachsen weiterhin deutlich stärker als die Einnahmen.» Für Krankenhausbehandlungen als größtem Kostenblock stiegen sie im ersten Halbjahr auf 54,5 Milliarden Euro - das waren 9,6 Prozent mehr als in den ersten sechs Monaten des Vorjahrs. Die Ausgaben für ärztliche Behandlungen in den Praxen stiegen um 7,8 Prozent auf knapp 27 Milliarden Euro und für Arzneimittel um 6 Prozent auf 28,9 Milliarden Euro.
Finanzdruck trotz Überschusses

Nach den Beitragsanhebungen zu Jahresbeginn verbuchten die Kassen bis Ende Juni jetzt unter dem Strich einen Überschuss von 2,8 Milliarden Euro. Dies sei aber nur eine Momentaufnahme und mit Vorsicht zu genießen, erläuterte Warken. Denn die Kassen müssen damit ihre nur noch sehr niedrigen Reserven auffüllen. Sie liegen aktuell bei 4,6 Milliarden Euro, was 0,16 Monatsausgaben entspricht - gesetzlich gefordert sind mindestens 0,2 Monatsausgaben.
Auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) warnte davor, sich vom Halbjahres-Plus beruhigen zu lassen. «Die Ausgabendynamik ist im ersten Halbjahr ungebrochen», sagte Vorstandschef Oliver Blatt der Deutschen Presse-Agentur. Es sei ein «gutes und wichtiges Signal», dass die Regierung die Beiträge stabil halten wolle. Blatt forderte erneut, dass die Kassen nicht mehr ausgeben müssen, als sie einnehmen. Der Anstieg der Kosten müsse wieder auf «ein Normalmaß» zurückgeführt werden. Das könne Beiträge stabil halten.
Finanzspritze des Bundes reicht nicht
Um die Kassen zu entlasten, gibt der Bund schon Geld aus dem Haushalt über den regulären Jahreszuschuss von 14,5 Milliarden Euro hinaus. So ist für 2025 und 2026 jeweils ein Darlehen von 2,3 Milliarden Euro geplant, außerdem soll ein früheres Darlehen von einer Milliarde Euro erst später zurückgezahlt werden müssen. Damit bleibt laut Gesundheitsministerium für 2026 aber eine Lücke von vier Milliarden Euro. Rein rechnerisch wären es 0,2 Prozentpunkte beim Beitrag.
Die Regierungsfraktionen und der Koalitionsausschuss bekräftigten gerade erst das Ziel, die Beiträge nach den zuletzt starken Steigerungen 2026 möglichst stabil zu halten. «Den hohen Erwartungen und dem Zeitdruck sind wir uns durchaus bewusst», sagte Warken. Sollte das «Delta» so bleiben, werde es aller Voraussicht nach zu Beitragserhöhungen führen. «Aber wir wollen das Ganze noch abfedern.» Ziel sei, eine Beitragserhöhung ab Januar zu vermeiden, und zwar außer für die Krankenversicherung auch für die Pflegeversicherung.
Lösungen noch im Herbst angestrebt
Konkret soll unter anderem in den direkt folgenden Beratungen über den Haushalt 2026 nach Lösungen gesucht werden, wie Warken deutlich machte. Damit wolle man noch die anstehenden Berechnungen des sogenannten Schätzerkreises erreichen, der immer im Herbst einen Orientierungswert für den durchschnittlichen Zusatzbeitrag im Folgejahr ermittelt. Den konkreten Zusatzbeitrag legt dann jede Kasse nach ihrer Finanzsituation für ihre Versicherten fest.
Anfang dieses Jahres waren die Zusatzbeiträge im Schnitt auf 2,9 Prozent gestiegen. Das war mehr als die erwartete Zunahme um 0,8 Punkte auf den amtlichen Orientierungswert von 2,5 Prozent. Zum Gesamtbeitrag, den sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber teilen, gehört daneben der allgemeine Satz von einheitlich 14,6 Prozent des Bruttolohns.
Kommission soll früher Vorschläge machen
Warken unterstrich das schwarz-rote Ziel, neben den kurzfristigen Schritten eine langfristige Stabilisierung zu erreichen. «Ohne tiefgreifende Reformen kann sich das System nicht mehr selber finanzieren.» Eine dazu im Koalitionsvertrag vereinbarte Expertenkommission soll im September starten und auch nicht erst im Frühjahr 2027 Ergebnisse vorlegen, sondern im Frühjahr 2026. «Die beinahe zur Routine gewordene Beitragssteigerung zum Jahreswechsel muss durchbrochen werden», sagte Warken.
Die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) warnten vor einer «Politik nach dem Prinzip Hoffnung». Statt entschlossen zu handeln, werde aber weiter darauf gewartet, dass irgendwo noch Geld im Bundeshaushalt auftauche, kritisierte die Chefin des AOK-Verbands, Carola Reimann. DAK-Chef Andreas Storm sagte: «Bei Gesundheit und Pflege droht uns ein Herbst der Hilflosigkeit, den Versicherte und Arbeitgeber im nächsten Jahr teuer bezahlen müssen.»
Vorschläge für Entlastungen
Der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas sagte, Vorschläge für schnell wirksame Maßnahmen zum Stoppen der explodierenden Ausgaben gebe es genug. Er schlug mit Blick auf die geplante Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie vor: «Für das Schnitzel mit Pommes soll bald der reduzierte Satz gelten. Warum geht das nicht auch bei Arzneimitteln?»
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, hielt der Regierung Realitätsverweigerung vor. «Ohne Steuermittel gehen in der Kranken- und Pflegeversicherung die Lichter aus.» Die Chefin des Sozialverbands Deutschland, Michaela Engelmeier, sagte: «Darlehen sind keine Lösung, sie verschieben das Problem nur in die Zukunft.» Statt neue Beitragserhöhungen zu riskieren, seien versicherungsfremde Leistungen aus Steuermitteln zu bezahlen.