Das Milliardenspiel: Wo ARD und ZDF jetzt sparen müssen

Wann immer &bdquo;Tagesschau”-Chefsprecher Jens Riewa den Komiker in sich entdeckt, gefrieren sie emotional zu Eis in der NDR-Redaktion in Hamburg. Vielleicht, so denkt mancher Kollege dann im Stillen, war es doch keine so brillante Idee, Riewa auf dem Twitch-Kanal der &bdquo;Tagesschau” auf junge Zuschauer loszulassen.

&bdquo;Hi Community, whats uuuuup?“, deklamierte der 62-jährige Riewa jüngst pseudolocker und formte zwei Peace-Zeichen mit den Händen. &bdquo;Habt ihr schon eure Gabeln geschärft?“ Es ging um den spaßbefeuerten Nonsens-Trend des Herbstes: das kollektive Puddingessen mit der Gabel. Und sofort sprangen die Fremdscham-Generatoren an. Ist ein entfesselter Riewa wirklich der richtige Weg, um junge Menschen mit der Marke ARD vertraut zu machen?

Kein Zweifel: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist auf der Suche. Nach mehr Lockerheit. Nach jüngeren Zuschauern. Nach seiner Zukunft. Und nach dem tiefen Kern seines Wesens. Jahre voller Skandale, Hader, Zank, politischem Gezerre und Abwehrreflexen liegen hinter ARD und ZDF. Nun haben sie endlich Klarheit, was ihren Umbau zu einer schlankeren, moderneren und zukunftsfesten Senderfamilie angeht: Die gesetzliche Grundlage steht. Jetzt wird es ernst.

Eine Zäsur für das deutsche Mediensystem Für ein Schriftstück, das nach einer langen, durchaus giftig geführten Debatte die größte Rundfunkreform seit Jahrzehnten einleitet, trägt das entscheidende Dokument einen ernüchternd-sperrigen Namen: Reformstaatsvertrag. Das klingt trocken, nach Verwaltungsroutine. Tatsächlich aber geht es auf den 55 Seiten um nichts Geringeres als &bdquo;eine Zäsur für unser gesamtes Mediensystem“, wie Florian Hager sagt, ARD-Vorsitzender und Intendant des Hessischen Rundfunks. &bdquo;Dieser Vertrag hat das Potenzial, die deutsche Medienlandschaft grundlegend zu verändern.“

Staatsverträge regeln nicht, was der öffentliche Rundfunk in Deutschland berichtet, aber was er leisten muss und darf. Alle 16 Ministerpräsidenten und sämtliche Landesparlamente müssen jede Änderung einstimmig beschließen. Als letztes hat Brandenburg Ende November zugestimmt. Dort hatten AfD und BSW bis zuletzt gegen eine Verabschiedung gekämpft, da ihnen die Einschnitte nicht weit genug gingen.

Zum 1. Dezember tritt der Vertrag nun in Kraft. Millionen Hörer und Zuschauer werden schon in wenigen Monaten spürbare Veränderungen bemerken. Nicht weniger als 40 Reformaufgaben definiert der Vertrag allein für die ARD. Die wichtigsten Vorhaben:

Hörfunk: Die Zahl der terrestrischen ARD-Radiokanäle wird bis Ende 2026 von aktuell 69 um &bdquo;mindestens 16? (Hager) auf um die 53 verringert. Entfallen sollen unter anderem die Hörfunkprogramme PULS, BR24live, BR Verkehr, BR Schlager, MDR Klassik, MDR Tweens, MDR Schlagerwelt, NDR Schlager, NDR Blue, NDR Info Spezial, WDR Event und WDR Die Maus. Weitere Ergebnisse sollen im ersten Halbjahr 2026 vorliegen.

Spartensender: Die Inhalte des Kultursenders 3sat sollen noch 2026 ins Programm des deutsch-französischen Kanals arte &bdquo;überführt“ werden, heißt es im Staatsvertrag. Damit naht tatsächlich das Ende von 3sat nach 40 Jahren – trotz massiver Proteste der Kulturszene. Die Autorin Sybille Berg etwa hatte wütend über die verantwortlichen &bdquo;Flachpfeifen” geschimpft (&bdquo;Es gibt schon genug Kacksender!“). Die vier bisherigen Sender Phoenix, tagesschau24, ARD alpha und ZDF info werden bis Januar 2027 zu nur noch zwei gemeinsamen Angeboten zusammengefasst. Außerdem soll es noch einen gemeinsamen Sender für &bdquo;Junge Erwachsene“ geben (darin werden ARD One und ZDF neo aufgehen) sowie ein digitales Jugendangebot, aktuell wäre das &bdquo;Funk“. Der Kinderkanal (Ki.Ka) bleibt zumindest bis 2033 auch als lineares Fernsehprogramm erhalten – danach wandern die Inhalte in die Mediathek.

Lineare Ausstrahlung: Welche Sender unter welchem Namen überleben, soll bis Juni 2026 feststehen. Die Verhandlungen darüber zwischen ARD und ZDF bezeichnete ARD-Chef Hager als extrem komplexen &bdquo;Next-Level-Shit“. Doch auch die neugestalteten Spartenkanäle dürfen nur noch bis 2029 linear ausgestrahlt werden – und landen danach im Internet. Alle neun Dritten Programme bleiben hingegen bestehen. Kein Ministerpräsident konnte sich durchringen, &bdquo;sein” Drittes zur Adoption durch einen größeren Nachbarsender freizugeben. Auch eine (nie ernsthaft erwogene) Fusion von ARD und ZDF ist vom Tisch.

Mediatheken: Die Mediatheken und Audiotheken von ARD, ZDF und Deutschlandradio werden zu einer gemeinsamen Plattform verschmolzen. Sie soll auch für private Anbieter offen sein. Dafür benötigen die Öffentlich-Rechtlichen eine Ausnahme im Kartellrecht, die im Koalitionsvertrag zwar vereinbart, aber noch nicht umgesetzt wurde. &bdquo;Da muss die Politik liefern“, mahnte Hager.

Textinhalte: Seit vielen Jahren schwelt ein Streit zwischen ARD und ZDF und privaten Presseverlagen um die &bdquo;Presseähnlichkeit“ öffentlich-rechtlicher Digitalinhalte. Graben die bequem beitragsfinanzierten Sender den Privatverlagen mit kostenlosen Onlinetexten auf ihren Portalen das Wasser ab? Der neue Staatsvertrag ist in dieser Frage deutlich strenger als bisher. Es gibt keinen Spielraum mehr. Jeder Text, den ARD oder ZDF veröffentlichen, muss zwingend einen &bdquo;Sendungsbezug“ zu einem audiovisuellen Inhalt haben – dazu zählen Radio- oder Fernsehbeiträge, aber auch zum Beispiel Audioclips auf tagesschau.de.

Die ARD setzt diese Auflage bereits jetzt um – auch mit einer erneuerten, ab sofort downloadbaren &bdquo;Tagesschau“-App. &bdquo;Die Auflagen erschweren unsere Arbeit massiv“, sagte Hager, &bdquo;denn wir werden wegen des höheren Aufwands redaktionell deutlich langsamer sein.“ Den Verdacht, digitale Audioclips würden nur als Notnagel produziert, wies er weit von sich: &bdquo;Es wird keine Audiofiles geben, die nur dafür da sind, lange Textriemen zu rechtfertigen.”

Der größte Umbau der ARD seit ihrer Gründung 1950 Es ist unterm Strich der größte Umbau der ARD seit ihrer Gründung 1950. Die Zahl der Spartenprogramme wird nahezu halbiert, die der Hörfunksender deutlich reduziert. Jeder Abschied von einem vertrauten Sender, der als Marke verschwindet, tut weh. Wie viele der aktuell 28.000 Festangestellten bei ARD, ZDF und Deutschlandradio um ihren Job bangen müssen, ist offen. Am Ende des Prozesses soll ein neuer, entschlackter Rundfunk stehen, der schon deshalb nicht mehr permanent um seine Legitimation kämpfen muss, weil er weniger Angriffsflächen bietet.

Die Politik hofft auf eine Beruhigung der hitzigen Debatten um &bdquo;Zwangsgebühren“ und &bdquo;Staatsfunk“, um Raffgierskandale oder zuletzt um die Freistellung von Julia Ruhs, Moderatorin des Magazins &bdquo;Klar“, beim NDR. Nicht wenige jedoch fürchten einen publizistischen Kahlschlag ausgerechnet in den Themenbereichen, die traditionell die schwächste Lobby haben und außerhalb des öffentlich-rechtlichen Kosmos im Fernsehen kaum vorkommen: Bildung und Kultur. Die Reform habe &bdquo;mehr von einem Abbruchunternehmen als von einem Zukunftsprojekt“, sagte etwa Mika Beuster, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV).

Zwei große Konflikte sind dabei noch gar nicht gelöst. Der erste: die langfristige Finanzierung. Der Rundfunkbeitrag bleibt bis Ende 2026 stabil bei 18,36 Euro pro Monat. Die ursprünglich von der zuständigen, unabhängigen Kommission empfohlene Erhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro wurde von den Ländern abgelehnt. Dagegen legten ARD und ZDF in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde ein. Sie argumentieren, der anstehende Umbau koste viel Geld, Einsparungen würden erst mittelfristig spürbar. Noch mehr Geld? Die Forderung erscheint unsensibel. Die Verfassungsrichter aber haben keine Eile: Erst 2026 wollen sie sich den Fall vornehmen. Mehrere Länder aber wollen einer Novelle des Finanzierungsmodells erst zustimmen, wenn die Sender die Beschwerde zurückziehen.

Dunkle Wolken über der ARD bleiben Derzeit kassieren die ARD (Jahresetat: 7,2 Milliarden Euro), das ZDF (2,5 Milliarden Euro) und das Deutschlandradio (276 Millionen Euro) zusammen gut 10 Milliarden Euro im Jahr. Zum Vergleich: Die BBC in Großbritannien verfügt über 6,25 Milliarden Euro im Jahr, France Télévisions kommt mit 2,8 Milliarden Euro aus. Allein für die betriebliche Altersversorgung müssen die Anstalten jährlich rund 567 Millionen Euro zurücklegen – knapp 6 Prozent ihrer Einnahmen.

Die zweite dunkle Wolke über der ARD: Die AfD hat angekündigt, im Falle einer Regierungsübernahme in Sachsen-Anhalt nach der Wahl im September 2026 den MDR-Staatsvertrag zu kündigen. Staatsverträge sind keine Gesetze. Bei ihrem Abschluss muss das Parlament zwar zustimmen. Für die Aufkündigung hingegen genügt die Unterschrift des jeweiligen Ministerpräsidenten. &bdquo;Das hätte massive Auswirkungen“, sagte ARD-Chefjurist Steffen Janich. Damit entfiele auch die Rechtsgrundlage für die Erhebung des Rundfunkbeitrags – und für den Sendebetrieb im Land. Man prüfe aktuell Möglichkeiten der Gegenwehr: &bdquo;Wir bereiten uns vor.“

Dennoch versprach Hager journalistische Fairness im Umgang mit der AfD: &bdquo;Wir können uns nicht aussuchen, über wen wir berichten und über wen nicht. So lange diese Partei nicht verboten ist, gehört sie natürlich für uns zum Berichtsgebiet.“ Die giftigen Attacken von rechts sieht er mit Gelassenheit: &bdquo;Die normalen Zuschauer beschäftigen ganz andere Themen als die Frage, ob wir linksgrün sind oder nicht.“ Die ARD produziere 2.000 Stunden audiovisuelle Inhalte pro Tag – &bdquo;wir reden viel zu viel über die 5 Prozent davon, die nicht gelungen sind“.

Mehrfrontenkampf um die Zukunft Es ist ja eine seltsame Gemengelage im Mehrfrontenkampf um die Zukunft: Einerseits sind die Vertrauenswerte für ARD und ZDF hoch. Die 20-Uhr-&bdquo;Tagesschau“ kam 2025 im Jahresschnitt bisher linear und digital auf 9,5 Millionen Zuschauer. Der Jahresmarktanteil der ARD liegt bei stabilen 12,6 Prozent.

Andererseits ist auch das Misstrauen in Sachen Sparsamkeit, Ausgewogenheit und Demut gestiegen. Die Klage über eine angeblich volkserzieherische, &bdquo;woke” ARD, unermüdlich befeuert vor allem im rechten Lager, ist bis weit in den Mainstream geschwappt – und erinnert an ähnliche Diskreditierungskampagnen, die etwa im Falle der BBC schon personelle Konsequenzen hatten. Hinzu kommt: Bei den Jüngeren sowie bei Menschen mit Migrationsgeschichte sind ARD und ZDF praktisch unbekannt. Und die Älteren – die treuesten Nutzer – sterben weg.

Kein Zweifel: Ein gemeinnütziger, niemandem verpflichteter, gemeinschaftlich finanzierter und kollektiv kontrollierter Qualitätsrundfunk ist ein Segen für eine freie Gesellschaft. Umso höher sind freilich die Ansprüche an derlei Institutionen. Sie müssen sich permanent als reform- und verschlankungsfähig erweisen.

Dazu dient dieser &bdquo;Reformstaatsvertrag“. Ein sperriges Wort für einen Menschen – aber ein gewaltiger Schritt für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Über den Twitch-Kanal der &bdquo;Tagesschau“ ist dabei noch nicht entschieden. Jens Riewa hat vorerst weiter freie Bahn.

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