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Ausfahrt zur Wittighöfer Straße ist die reinste Rennstrecke

Till Brand

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Ging noch recht glimpflich aus: Zum Glück kam bei dem Unfall am 14. Oktober an der Ecke Wittighöfer/Herforder Straße gerade niemand aus der Haustür. - © Jens Rademacher
Ging noch recht glimpflich aus: Zum Glück kam bei dem Unfall am 14. Oktober an der Ecke Wittighöfer/Herforder Straße gerade niemand aus der Haustür. (© Jens Rademacher)

Lemgo. So bald werden Günter und Hildegard Beckmann den 14. Oktober nicht vergessen: Rumpeln, ein Knall, dann Stille. Ein silberner Kleinwagen hatte den Vorgarten des Ehepaares zerpflügt - die Haustür setzte der Irrfahrt ein jähes Ende.

„Nicht auszudenken, wenn meine Eltern gerade hinausgewollt hätten“, betont Sigrid Kutschinski. Der Schreck steht der Lemgoerin noch ins Gesicht geschrieben. Zwei Monate nach dem Unfall: Kutschinski gibt nicht auf. Briefe an den Landesbetrieb Straßenbau und die Stadt schreibt sie nicht erst seit gestern. Doch der schwere Crash im Herbst, er hat dem Bemühen neuen Wind gegeben: Die Auffahrt an der Ecke Herforder/Wittighöfer Straße berge Gefahren. Tempo 50 soll her, Starenkasten, neuer Asphalt, Bürgersteige. Irgendwas. Meinen zumindest die Anwohner.

Von einer „unglücklichen Kreuzung“ spricht auch Monika Römer von der Stadt. Doch ein zusätzliches Tempolimit auf der Wittighöfer Straße? Das brächte nichts, ist die Mitarbeiterin der Verkehrsbehörde überzeugt. Es halte niemand mit Tempo 100 auf die Kreuzung zu. „Wer sich hier regelkonform verhält, der fährt keine 100“ verweist Römer auf die schmale Straße und ihren Zustand, dem man den Fahrstil anzupassen habe.

Der Asphalt könnte besser in Schuss sein, räumt auch Sven Johanning, Sprecher für den NRW-Straßenbaubetrieb in Bielefeld, ein und fügt an: „...wie bei so vielen Landesstraßen.“ Doch bei nur 1.265 Fahrzeugen täglich genieße die Wittighöfer Straße nun einmal „nicht die allerhöchste Priorität“. Kontrolliert werde wöchentlich, aber noch stünden nicht einmal Warnschilder wegen Straßenschäden.

„Vielleicht würden die Leute ja mal bremsen“, meint Kutschinskis Nachbarin Gabriele Kusemeier resignierend. So seien das hier die „reinsten Rennstrecken“. Etwa für Autofahrer, die Richtung Leese abbögen. „Die kommen um die Ecke geschossen“, bekräftigt die Lemgoerin. Bürgersteige – als Schutz für Fußgänger und Radler? Fehlanzeige! Laternen? „Wegrationalisiert“, bedauert Sigrid Kutschinski.

Fährt der Schneeflug, fliegt ihr Matsch an die Schlafzimmerfenster. Im Obergeschoss, denn die Herforder Straße liegt im Liemer Grund auf aufgeschütteter Trasse. Im Wohnzimmer von Günter und Hildegard Beckmann ist jedes Auto als Zischen zu hören. Und da kommt Einiges zusammen, bei 21.000 Fahrzeugen jeden Tag. Knapp 15 sind das pro Minute, alle vier Sekunden einer, Nächte nicht abgerechnet. Tagsüber ist es schlimmer.

Monika Römer sieht jedoch der Stadt die Hände gebunden. „Auf dem Papier mag das alles schön aussehen“, sagt Sigrid Kutschinski. Für ihre Eltern und sie sei der Verkehr aber die totale Belastung. Minute für Minute, Stunde für Stunde, Tag für Tag. Die Trockenmauer im Garten? Bröckele ob der Erschütterungen, wenn die tonnenschweren Gespanne die Biogasanlage belieferten. Das Schild auf der Verkehrsinsel? „Mehrfach umgemäht“, sagt Kutschinski.

An ruhigen Schlaf sei nicht zu denken. Morgens, im Berufsverkehr, reihten sich meist mehr als zehn Autos direkt vor ihrem Elternhaus ein, kritisiert sie. „Will nur einer nach links, geht gar nichts mehr. Der kommt ja minutenlang nicht weg“, ärgert sie sich. Und dann werden die Leute ungeduldig, hupen. Mit offenem Fenster schlafen? Hat sich die Lemgoerin lange abgewöhnt.

Die Gefahrenpunkte
Die Gefahrenpunkte

Die Prüfer meiden den Liemer Grund bereits
Fahrlehrer Sven Bothe ist überzeugt: Die beiden Kreuzungen im Liemer Grund stecken für Autofahrer voller Rätsel. Sowohl aus Leese als auch Lieme sei es nicht einfach, auf die Herforder Straße zu kommen. Um auf Gefahren aufmerksam zu machen, hat der Experte bei Facebook eine Bilderserie eingestellt.

Bothes Fazit: „Ich sehe gleich mehrere Baustellen, wo man etwas machen müsste: Fahrbahnmarkierungen, vielleicht sogar eine Ampel. Denn hier wird’s oft gefährlich. Und dann gleich richtig.“ Werde doch auf der Straße „Tempo 70“ meist nicht eingehalten – viele führen schneller. Wo sieht Bothe die Knackpunkte?

Aus Lieme (Fotos 1-4): Von der Bielefelder Straße nach rechts abzubiegen, ist nach Meinung des Fahrlehrers kein Problem. Der Verkehr aus Richtung Bad Salzuflen ist von weitem zu erkennen. Anders sehe es aus, wenn man nach links möchte. „Dafür ist die Einfädelungsspur in der Fahrbahnmitte. Einige Leute ignorieren sie aber völlig und fahren direkt auf die rechte Spur – über die durchgezogene Linie“, hat Sven Bothe beobachtet. Er kann sich das mit „Betriebsblindheit“ erklären: Menschen, die die Strecke schon immer befahren. Oder durch Ortsunkenntnis. Denn die Einfädelungsspuren sind ein Alleingang in NRW. „Leute aus anderen Bundesländern kennen dieses System manchmal nicht“, sagt Bothe.

Auf der Herforder Straße (3-5): Haben es die Autofahrer auf die Einfädelungsspur geschafft, müssen sie rechts blinken, um sich in den fließenden Verkehr einzuordnen. „Nicht wenige machen den Blinker danach aber nicht rechtzeitig aus“, sagt der Fahrlehrer. Die Folge: Der Hintermann glaubt, dass man nach rechts in Richtung Leese abbiegen will. Wer scharf zum Überholen ansetzt und zu dicht auffährt, riskiert Karambolagen bei „Tempo 70“. Wer tatsächlich nach Leese will, muss zudem sehen, dass er schnell von der Straße kommt. „Vielleicht auch mal zu schnell“, spielt Bothe auf den Unfall von Oktober an. „Das gilt vor allem mit einem 40-Tonner im Nacken“, sagt der Fahrlehrer.

Aus Leese (6): Die Wittighöfer Straße ist eng, meint Bothe mit all der Berufserfahrung. Dazu geparkte Autos und Trecker auf dem Weg zu der Biogasanlage. „Damit ist die Straße voll“, unterstreicht Bothe und meint: „Das Linksabbiegen sollte man hier verbieten.“ Bezeichnend: Fahrprüfer, mit denen Bothe Woche um Woche zu tun hat, haben gemerkt, dass so mancher Fahrschüler an der Stelle seine Schwierigkeiten hat. „Um den Nachwuchs nicht rein zu reiten, meiden die Prüfer die Kreuzung“, sagt der Lemgoer.

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