Herford. Mindestens vier junge Männer aus Herford haben sich der Terrororganisation IS angeschlossen. Sicherheitsbehörden schätzen das hiesige Problempotenzial durch die Salafisten-Szene nach Informationen dieser Zeitung als relativ hoch ein – dabei ist Herford nicht der einzige Hotspot der Islamisten in NRW. Wenn auch ein wichtiger. Doch wie kam es dazu?
Das Besondere an der salafistischen Szene in Herford ist, dass sie sich um aktive tsche-tschenische Islamisten gebildet hat, erklärte eine Sprecherin des Bundesamts für Verfassungsschutz in Köln auf Anfrage. Tschetschenische Islamisten gelten, so die Sprecherin, als gewaltbereit. Die Experten haben darüber hinaus auch festgestellt, dass sich die tschetschenischen Islamisten vom Kampf gegen Moskau abgewandt haben. Stattdessen unterstützen sie die Terrororganisation Islamischer Staat.
Wie berichtet, fokussieren sich die Behörden auf einen 49 Jahre alten Mann, der seit 2001 mit seiner Familie in Deutschland lebt und als Gefährder gilt. Er hat in beiden Tschetschenienkriegen mitgekämpft. Darüber hinaus wird gegen einen Sohn des Mannes wegen des Angriffs auf den jesidischen Imbissbesitzer an der Steinstraße ermittelt.
"Wir sind keine Hochburg"
Die Salafisten mit tschetschenischen Wurzeln bildeten die Mehrheit der sechs Angreifer. Gerade in personenbezogenen Gründen sieht auch Bürgermeister Tim Kähler eine Ursache für die Salafisten-Szene in Herford. „Wir sind keine Hochburg“, erklärt er weiter. Dass Extremisten junge Männer rekrutierten, sei kein neues Phänomen.„Der Unterschied zu anderen Städten ist aber, dass dieses Vorgehen in Herford öffentlich geworden und als Problem erkannt worden ist.“ Der Bürgermeister weiter: „Das Vorgehen (d. Islamisten, d. Red) ist inakzeptabel.“ Er setze nun auf die Ermittlungen des Generalbundesanwalts.
Offenbar wirkten die früheren Erfolge des IS sowie dessen Gräueltaten wie ein Katalysator, der den Salafisten in Herford weiteren Zulauf von jungen gescheiterten Männern beschert. Bereits vor 2010 standen Aktivitäten der Herforder aber schon im Fokus der Ermittlungsbehörden.
2010 die ersten Koran-Stände
2007 hatte das NRW-Innenministerium öffentlich vor dem Einsickern von tschetschenischen Islamisten gewarnt. Um 2010 tauchten die ersten Koran-Stände auf. Mindestens 2013 gab es dann offenbar die ersten Islamisten aus Herford, die nach Syrien aufbrachen. Im August 2014 folgte dann der Übergriff der IS-Sympathisanten an der Steinstraße.„Wir sind nicht aufmerksam genug gewesen“, stellt Pastor Holger Kasfeld vom Kirchenkreis Herford fest. Er gehörte bereits vor rund vier Jahren zu den Gründern eines Arbeitskreises zum Salafismus – der nicht nur auf die Kirchen beschränkt war.
Auslöser für die Gründung seien beunruhigende Berichte gewesen: Dass etwa Väter ihre Söhne aus dem Sportverein abgemeldet hätten, weil die Kinder nicht mehr mit Ungläubigen spielen sollten. Auch in Jugendzentren sei Religion plötzlich Thema geworden. Oft sei diese Entwicklung von Gesprächspartnern aber eher mit einem Lächeln hingenommen worden – so schlimm werde es schon nicht werden.
Heute lächle niemand mehr, so Holger Kasfeld, beim Kirchenkreis zuständig für den Bereiche Diakonie und gesellschaftliche Verantwortung. „Wir haben unterschätzt, dass Religion so stark zur Identitätsstiftung unter jungen Menschen beitragen kann.“ Das sei von den Hintermännern der Salafisten clever ausgenutzt worden. Es stelle sich die Frage – angesichts der Vorgeschichte der junge Männer – „welche Perspektiven wir ihnen bieten.“
Gleich groß, gleiche Probleme
Die Situation Herfords mit seinen 64.000 Bewohnern ist kein Einzelfall: So war jüngst in der 70.000-Einwohner-Stadt Dinslaken ein Islamist wegen Anschlagsplänen verhaftet worden. Insgesamt zehn junge Männer sind nach Schätzungen aus der Stadt am Niederrhein nach Syrien ausgereist, um zu kämpfen. Das westfälische Ibbenbüren mit 53.000 Einwohnern verbucht bisher drei namentlich bekannte IS-Terroristen. Dazu kommen Orte mit weitaus mehr Salafisten wie Wuppertal, Solingen oder aber Mönchengladbach sowie der tatsächlichen Hochburg Bonn.