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Landestheater zeigt moderne und überzeugende "Faust"-Premiere

Das Böse schafft der Mensch allein

Ilse Franz-Nevermann

"Faust I": Markus Hottgenroth, Stephan Clemens und Henry Klinder (von links) in einer Spielszene. - © Landestheater/Quast
"Faust I": Markus Hottgenroth, Stephan Clemens und Henry Klinder (von links) in einer Spielszene. (© Landestheater/Quast)

Detmold. Faust und Gretchen tragen ihren eigenen Dämon in sich, Mephisto tritt lediglich als souveräner Spötter und Kommentator auf. Regisseur Jasper Brandis hat eine sehr moderne, überzeugende Sicht von Goethes „Faust“ auf die Bühne gebracht. 

Ein eher gleichgültiger Gott, der im Vorübergehen eben mal rettet: Das ist der Rahmen, in dem die Protagonisten von „Faust I“ auf einer nur mit dem Allernötigsten ausgestatteten kleinen Mittelbühne ihr Spiel entfalten. Andreas Freichels verzichtet dabei auf fast sämtliche Requisiten. Das bedingt Schauspieler-Persönlichkeiten mit starker Präsenz. Ihre Sprachkunst lässt eine Aneinanderreihung von Zitaten wieder zum lebendigen Geschehen werden.

Aus unbändigem Forscherdrang erwächst der Drang nach immer mehr Wissen- und Erleben-Wollen. In seiner Sucht, alles und zwar sofort haben zu müssen, ist Faust eine überaus heutige Figur. Seinen bösen Geist muss er nicht herbei rufen, er trägt ihn bereits in sich. Auch ein Ausflug ins Drogenmilieu genügt dem Unersättlichen nicht. Eine seiner stärksten Szenen liefert Stephan Clemens, als er im vierfach gesteigerten Religionsgespräch mit Gretchen am Ende fast explodiert. Da weiß der große Freigeist nicht mehr weiter.

Ihren Dämon trägt auch das anfangs verklemmt und schüchtern wirkende Gretchen in sich. Schon die nur mühsam unterdrückte Wut, mit der sie von ihrer Verantwortung für das neugeborene Schwesterchen erzählt, lässt dunkle Ahnungen aufkommen. Nach und nach bricht die lange verborgene Aggressivität aus ihr heraus. Selbstzerstörerisch wird sie zur Mörderin ihrer Familie. Die junge Schauspielerin Nicola Schubert liefert hier ein starkes Debüt.

Mephisto ist in dieser Inszenierung kein Anstifter zum Bösen, denn das erledigen die Menschen schon selbst. So agiert Markus Hottgenroth in einer Glanzrolle als zynisch-melancholischer Wanderer zwischen den Welten, ein androgyner Verwandter des Till Eulenspiegel. Fausts Monologen vermag er nichts abzugewinnen. Immer wieder holt er süffisant den Doktor aus seinen idealistischen Höhenflügen auf den Boden irdischer Tatsachen zurück.

Und hier tummelt sich eine überwiegend von Unsympathen bewohnte Welt. Da ist die ebenso lüsterne wie intrigante Marthe Schwerdtlein (Natascha Mamier) und das tratschsüchtige Lieschen (herrlich: Henry Klinder im rosa Fummel). Jürgen Roth ist ein besserwisserischer, trotzdem devoter Famulus und als Valentin ein zum Spastiker gewordener, traumatisierter Kriegsheimkehrer.

Hexenküche und Walpurgisnacht, begleitet von undefinierbaren Geräuschen, entstehen überwiegend in der Fantasie der Zuschauer. Für die leicht melancholische Grundstimmung sorgt die sparsam eingesetzte Musik. Frank Niebuhr hat geschickt Chansons von Edith Piaf eingestreut.

„Zwei Menschen brechen aus dem Kerker ihrer Existenz aus und enden im wirklichen Kerker.“ Dieses Fazit zieht Jasper Brandis. Denn auch unsere Gegenwart liefert ausreichend Beweise für die Folgen menschlicher Hybris.

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