Detmold. Das Detmolder Sommertheater steht für einen Abend in Utzbach. In jenem kulturlosen Kaff, in dem Thomas Bernhard seinen „Theatermacher" um das Gelingen der abendlichen Aufführung ringen lässt. Das Stück, in dem der Autor Darsteller- und Zuschauerebene raffiniert miteinander verwebt, hat im Sommertheater eine farbenreiche und fesselnde Premiere erlebt, getragen von einer grandiosen Vorstellung Norbert Wendels in der Titelrolle.
Utzbach also. Hier hat der ehemalige Staatsschauspieler Bruscon mit seiner Familie den Saal des Gasthofes angemietet, um sein Bühnenwerk „Das Rad der Geschichte" aufzuführen, sein Magnum Opus. Und das in Utzbach: eine einzige Zumutung, findet Bruscon. Die wird getoppt von absurden Widrigkeiten: Das Interesse des potenziellen Publikums ist anderweitig gebunden, schließlich ist heute Blutwursttag.
Außerdem fürchtet Bruscon, der Feuerwehr-Chef werde ihn am Ende sicher nicht das Notlicht löschen lassen – womit die Wirkung seines Werkes allerdings komplett zerstört wäre. Der Theatermacher ringt – mit den Gegebenheiten, mit seinen in Bruscons Augen komplett talentfreien familiären Mitspielern und nicht zuletzt mit sich selbst, seinen Ansprüchen und Versagensängsten.
„Der Theatermacher" ist auch Komödie, allerdings ist die Komik von dunkler, oft boshafter Natur. Das Stück erzählt viel darüber, wie Theater entsteht, schildert Selbstverständnis, Motivationsstrategien und Schutzmechanismen der Kultur-Macher, deren Erfolg nicht selten auf dem fragilen Fundament des unbedingten Vertrauens in das eigene Tun ruht. Das kann ziemlich anstrengend sein, speziell an Blutwursttagen.
Bruscon zumindest hat schwer zu kämpfen, und Norbert Wendel bringt dieses Ringen des Theatermachers in höchst facettenreichem Spiel auf die Bühne. Er lässt ihn sich in seiner Eitelkeit sonnen, lässt ihn selbstherrlich wettern und toben, seiner Familie nicht nur verbal Gewalt antun. Bei all dem hält Wendel sein Spiel so fein und nuancenreich, dass deutlich wird, dass dieses Verächtlichmachen der anderen aus einem gewissen Selbsthass Bruscons entspringt, aus der allgegenwärtigen Angst vorm Scheitern. Und Wendel glänzt mit großartiger Sprechkultur – der Duktus von Bernhards Sprache, der oft beinahe an eine musikalische Partitur erinnert, ist höchst anspruchsvoll.
Auch die übrigen Rollen sind blendend besetzt – etwa die der Gastwirtsfamilie mit Holger Teßmann und Natascha Mamier in blutbefleckten Schürzen (Kostüme: Anke Wahnbaeck) sowie Tochter Karoline Stegemann, die zu kopfschüttelnden, ob der fremden Theaterwelt entgeistert staunenden Zuschauern werden.
Hubertus Brandt gibt Bruscons gequälten Sohn Feruccio, Marie Luisa Kerkhof seine Schwester Sarah und Kerstin Klinder ihre Mutter, allesamt zum ewigen Scheitern an den Ansprüchen des Vaters und Gatten verurteilt. Regisseur Malte Kreutzfeldt legt die gepeinigten Familienmitglieder allerdings nicht ausschließlich als Opfer an, er gibt allen ein paar widerständige Momente mit auf den Weg – zum Glück, das macht das komische Moment bekömmlicher. Denn leichte Kost ist diese Komödie nicht. Lautstarke wie subtile Gewaltausbrüche fordern die Zuschauer – genau wie die der bruchlosen Dramaturgie geschuldete mehr als zweistündige Vorstellung ohne Pause.
Kreutzfeldt, der auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, zeigt mit der schrägen Drehscheibe von Anfang an, wie wacklig die Plattform ist, auf der Bruscon agiert, wie wenig gesichert ein Erfolg seiner Bemühungen. Und er setzt die Raffinesse von Bernhards boshafter Theater-Reflexion gekonnt ins Bild, wenn er das Detmolder Sommertheater mit spießigen Geweihen schmücken und diese als Teil der Inszenierung wieder abräumen lässt.
Das Theater wird zum Dorfgasthof, Darsteller zu staunenden Zuschauern und die Besucher zu Statisten. Erst für den Schlussapplaus wechseln sie zurück in die Zuschauerrolle; dann, wenn der Utzbacher Saal wieder zum Detmolder Sommertheater wird.