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Händels Oratorium „Jephtha“ erlebt anrührende Premiere im Landestheater

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Zögert bei der Krönung: Jephtha alias Steven Chambers. Links von ihm: Michael Zehe, sitzend: Lotte Kortenhaus. - © Landestheater/Lefebvre
Zögert bei der Krönung: Jephtha alias Steven Chambers. Links von ihm: Michael Zehe, sitzend: Lotte Kortenhaus. (© Landestheater/Lefebvre)

Detmold. Kein Happy End, aber nicht ohne Hoffnung: Der Detmolder „Jephtha" hat das Zeug, seine Zuschauer zu berühren. Dass diese innere Anteilnahe, dass Humanität ein fragiles und stets gefährdetes menschliches Gut ist, hat Regisseurin Ute M. Engelhardt großartig herausgearbeitet. Ihr gelingt der Brückenschlag von alttestamentarischer Vorlage zum aktuellen Zeitgeschehen ohne Brechstange und Effekthascherei. Ammon oder Aleppo? Das nimmt sich nicht viel.

Im Alten Testament steht die grausame Begebenheit: Feldherr Jephtha erhält die Chance, sein Volk zu retten, das ihn einst verstieß. Gelingt ihm ein Sieg im Kampf gegen die Ammoniter, soll er Herrscher werden. Er siegt. Doch vor der Schlacht hat er einen fatalen Schwur geleistet: Er hat Gott gelobt, das erste Wesen, das ihm nach dem Sieg begegnet, als Opfer darzubringen. Das ist seine Tochter.

Ute M. Engelhardt erzählt diese Geschichte ganz schlicht, nahezu unaufgeregt. Die zentrale Rolle in den Mauerresten einer zerstörten Stadt (Bühnenbild: Petra Mollérus) spielt dabei der – von Chordirektor Marbod Kaiser hervorragend einstudierte – Chor samt Extra-Chor des Landestheaters. Die Sänger verkörpern Menschen, die zu viel erlebt und gesehen haben. Zu viel Gewalt, zu viel Krieg. Dies sind die Menschen, unterwegs auf der verzweifelten Suche nach Frieden und Heimat, die wir täglich in den Nachrichtenbildern sehen. Die Regisseurin zeigt die Starre in ihrem Inneren in Form von Bewegungslosigkeit oder lässt sie in zähem Zeitlupen-Tempo agieren.

Auch die Zuschauer haben viel gesehen. In den Nachrichten, täglich Krieg und Gewalt. Aber fühlen sie noch mit angesichts der Masse der Ereignisse? Im Detmolder „Jephtha" können sie nicht anders. Ute M. Engelhardt löst diesen einen Fall aus der Menge heraus. Sie zeichnet psychologische Profile und setzt auf starke Bilder. Noch gilt Jephtha als unangefochtener Heilsbringer, da lässt sie ihn sich bereits die Hände blutig machen. Dabei rettet er in dieser Szene eigentlich ein Leben. Das von Hamor, dem Geliebten seiner Tochter.

Diesen Hamor gibt Alin Deleanu nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch herausragend. Er ist einer der beiden gebrochenen Charaktere dieser Inszenierung, spielt gegen den Text, der in seinem Rollenbuch steht. Die siegestaumelnde Schilderung der gewonnenen Schlacht singt er als zitternder, verstörter Kriegs-Traumatisierter. Simone Krampe als jugendlich-stimmige Iphis, Jephthas Tochter malt sich mit Hamor eine bessere Zukunft aus.

Händels leuchtede Klangwelt

Wie alle Flüchtlinge der Weltgeschichte führt sie den Traum von Frieden, Haus und blühendem Garten im Handgepäck mit sich. Dann kommt der Bruch. Fast übereifrig adaptiert Iphis die Opferrolle, die ihr Vater für sie vorgesehen hat, tritt im Totenhemd auf die Bühne, und aus der zunächst fast heiteren Todes-Verherrlichung – Stichwort: Selbstmord-Attentäter – spricht spielerisch und stimmlich zunehmend der Wahnsinn.

Michael Zehes kraftvoller, eleganter Zebul, Lotte Kortenhaus als verzweifelte Mutter Storge, die dem religiösen Wahn ihres Mannes letztlich nichts entgegensetzen kann: Für all das bereiten Generalmusikdirektor Lutz Rademacher und das Symphonische Orchester des Landestheaters das Fundament mit Georg Friedrich Händels wunderbarer Musik. Die Höhen und Tiefen dieser dramatischen Klangwelt leuchten sie in allen Nuancen aus, vom von Religiosität befeuerten Enthusiasmus bis hin zu düsterster Niedergeschlagenheit.

Und das Volk, gewandet in zusammengesuchte Alltagskleidung – die Kostüme stammen ebenfalls von Petra Mollérus – steht und schaut, hilflos, ohne Regung. Zu viel Gewalt gesehen, zu viel durchlitten – und froh, dass dort ein Retter am Horizont auftaucht. Ein Held im Spießer-Outfit, in Karo-Hemd, Cordhose und Popeline-Jacke. Und das soll der Retter sein? Egal – Hauptsache, einer macht den Job. Steven Chambers tut es – sängerisch durchaus überzeugend. Dass Jephtha, der religiöse Fanatiker, ganz am Ende zögert, ob er sich die Herrscherkrone tatsächlich aufsetzen will, lässt das Ende offen.

Üppiger Applaus für eine großartige Ensembleleistung.

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