Theaterstück spürt in Detmold dem Phänomen "Tatort" nach

Detmold. Deutschland, Krimiland - und damit ist unmittelbar der Tatort verbunden. An jedem Ende einer Woche rückt er dramaturgisch eine aus den Fugen geratene Welt wieder gerade. Eine Art "Wort zum Sonntag", ein Ritual. In dem Stück "Tatort 110" geht das Landestheater dem Phänomen nach. Premiere ist Freitag, 22. September, um 19.30 Uhr im Grabbe-Haus.

Der Titel verbindet zwei Krimiserien in dem Schauspiel von Hannah Frauenrath. Für Bühne und Kostüm zeichnet Laura Immler verantwortlich. Die Dramaturgie übernimmt Sophia Lungwitz. Es spielen Katharina Otte, Linda Sixt und Patrick Hellenbrand mit musikalischer Unterstützung von Julian von Hansemann.

1970 flimmerte erstmals das "Tatort"-Fadenkreuz über den Bildschirm, erklärt Dramaturgin Sophia Lungwitz. Nur ein Jahr später zog die DDR mit dem "Polizeiruf 110" nach. Als Götz George in den 80er-Jahren mit seinem notorisch nuschelnden Underdog &bdquo;Schimanski“ die Figur des deutschen Kommissars revolutionierte, hatte dies sogar innerdeutsche Konsequenzen. Mit Darstellern wie Andreas Schmidt-Schaller alias Thomas Grawe leistete man sich nun auch im Arbeiter- und Bauernstaat von nun an lässig getragene offene Hemdkrägen und mehr Individualität.

Beide Serien sind miteinander verbunden Heute seien die Entwicklungen der beiden Krimiserien kaum ohne einander zu denken. Manche Großstädte &bdquo;beschäftigten“ gar je ein "Tatort"- und ein "Polizeiruf-Team", wie beispielsweise München. "Kaum eine Serie spiegelt aktuell brisante Entwicklungen, wie diese beiden, von der Wiedervereinigung über die Flüchtlingskrise und ihren Folgen bis zum Kindesmissbrauch und Klimawandel", so das Theater. Und der Krimi liefere Rekordeinschaltquoten bis heute.

Hannah Frauenrath studierte Regie an der Folkwang Universität der Künste Essen. In der Spielzeit 2021/2022 stellte sie sich – damals noch als Studentin – mit einer digitalen Inszenierung von Julia Herrgesells Kurz-Stück "Echtzeit-Komplizen" am Landestheater Detmold vor. Mit der Stückentwicklung "Tatort 110 – Zwei Krimiserien auf der Spur" spürt Hannah Frauenrath mit ihrem dreiköpfigen Ensemble den beiden urdeutschen Krimiphänomenen nach. Darin stellt eine deutsche Durchschnittsfamilie ihr trautes Eigenheim einer Produktionsfirma für einen "Tatort"- Dreh zur Verfügung. Sehr schnell verschwimmen dabei die Rollen. Wer ermittelt wie und inszeniert wen? Welches Ermittler-Team hat ultimatives Kult-Potenzial? Und welche sozialen Strukturen werden durch das wöchentliche Krimi-Ritual eigentlich zusammengehalten? Wird das eigentlich immer so weiter gehen?

Privatwohnung wird zum Drehort Hannah Frauenrath erklärt: "Aufgrund meiner eigenen Tatort-Sozialisation war eigentlich sofort klar, dass es um das familiäre Sonntagabendritual des gemeinsamen Guckens gehen muss." Das Ziel sei dann gewesen, diese Familiengeschichte mit der Geschichte von "Tatort" und "Polizeiruf" zu verknüpfen. "Hierzu haben wir erst im Team philosophische Texte zum Fernsehphänomen und dessen Erfolgsgeschichte gelesen. Daraus entstand dann die Grundidee, dass unsere Familie ihr Wohnzimmer für einen Dreh zur Verfügung gestellt hat und diesen dann gemeinsam ansieht. So sind die zwei Ebenen und das Bühnenbild entstanden. Die Familie, die den ,Tatort’ schaut, auf der einen und der Tatort, der gespielt wird, auf der anderen Seite."

Natürlich versuche das Ensemble dabei, den deutschen Krimi in seinen Strukturen und Inhalten zu hinterfragen. Die beiden Serien griffen gesellschaftlich relevante Themen auf, müssten dabei aber ein so breites und diverses Publikum ansprechen, dass sie nie wirklich Haltung beziehen könnten. "Welche Meinungen und Blickwinkel auf Gesellschaft werden uns da am Sonntagabend eigentlich vorgestellt?", fragt Hannah Frauenrath und findet: "Schön wäre, wenn Raum entstünde, um in eigenen Erinnerungen an Familie und Tatort beziehungsweise Polizeiruf zu schwelgen. Zwei Bereiche, die für mich unweigerlich zusammengehören." Außerdem werde der der &bdquo;Tatort“ als "letztes mediales Lagerfeuer" beschrieben. Auch die Frage, wie und ob es mit dem damit verbundenen Ritual weitergehe, solle man sich stellen: "Ist der Tatort eine Institution, die uns zusammenhält oder auseinanderreißt?"

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