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Im Cappeler Kirchenasyl erzählt Mohammed Muntari seine Geschichte

29-Jähriger Ghanaer: "Ich bin kein Krimineller"

Marianne Schwarzer

Mohammed Mutari wohnt derzeit im Pfarrhaus der Kirchengemeinde Cappel. Hier fühlt er sich geborgen - zum ersten Mal nach Jahren, und er möchte unerkannt bleiben. - © Foto: Preuss
Mohammed Mutari wohnt derzeit im Pfarrhaus der Kirchengemeinde Cappel. Hier fühlt er sich geborgen - zum ersten Mal nach Jahren, und er möchte unerkannt bleiben. (© Foto: Preuss)

Blomberg-Cappel. Die Vögel im Pfarrgarten zwitschern, was das Zeug hält, alles grünt und blüht. Ein Klingeln, und Irmingard Heine von der Flüchtlingshilfe Detmold öffnet die Tür des Pfarrhauses. "Kommen Sie herein, Mohammed ist oben", sagt sie. Wird er denn mit der LZ sprechen wollen? - "Ja, das schon, aber auf dem Foto möchte er nicht erkannt werden", erklärt sie.

Ein Zimmer im Obergeschoss des ansonsten leeren Pfarrhauses: ein Bett, Regale, ein Fernseher und ein Tisch mit ein paar Stühlen. Auf einem sitzt ein ungewöhnlich schmaler Schwarzer mit ernsten Augen und versucht ein Begrüßungslächeln. Sein Händedruck ist kaum zu spüren, nervös wippt er mit den Füßen.

In seinem Heimatland Ghana spricht man Englisch, ein Dolmetscher ist also überflüssig. "Ich will Ihnen die Wahrheit sagen", betont der 29-Jährige ganz zu Anfang. Doch wie interviewt man einen Menschen, der offensichtlich traumatisiert ist? - Das Gespräch kommt nur stockend voran. Mohammed Muntari hat mit zwei Brüdern, einer Schwester und seinen Eltern in der ghanaischen Stadt Yendi gelebt, in der zwei Clans bis heute um die Vorherrschaft konkurrieren. Im März 2002 hatte der eine Clan den König des anderen ermordet und dessen Palast niedergebrannt. Am 24. Dezember 2002 wurde auch Mohammeds Elternhaus zur Zielscheibe, aber nicht nur: Sie erschossen seine gesamte Familie. Damals war Mohammed gerade mal 16 Jahre alt: "Ich war bei christlichen Freunden zu Besuch, um dort Heiligabend zu feiern. Sie haben unser Haus in Brand gesetzt und geschossen, ich konnte von weitem den Feuerschein am Himmel sehen."

Die Erinnerung spiegelt sich in seinem Gesicht, er schluckt. "Ich bin nach Libyen geflohen." Neun Jahre hat er dort gelebt, bis er 2011 zwischen die Fronten geriet. Die Rebellen fingen ihn und andere Schwarzafrikaner auf der Straße ein, weil sie mutmaßten, dass sie von Gaddafi angeheuerte Söldner seien. Sie zwangen ihn auf ein Boot nach Lampedusa. "Sie haben uns gefesselt und geschlagen", er ahmt Schläge mit dem Gewehrkolben nach. Er habe Libyen nicht verlassen wollen. Zurück nach Ghana - das wäre ein Albtraum für ihn. "Aber ich wollte auch nicht nach Italien. Ich wusste, ich könnte auf dem Meer sterben."

150 Menschen waren dort eingepfercht: "Kein Schiff, es war ein Holzboot", bis sie vor Lampedusa gerettet wurden. Sie hatten überlebt. Schon damals litt Mohammed unter einer quälenden Hautkrankheit. Sie konnte im überfüllten Flüchtlingslager nicht adäquat behandelt werden. Er versuchte in der Schweiz sein Glück,  wurde sogar im Hospital behandelt. Doch die Schweizer wollten ihn danach in Abschiebehaft stecken. "Warum sollte ich in ein Gefängnis gehen? Ich bin kein Krimineller", sagt er. Er floh.

Monatelang lebte er auf den Straßen von Rom, bis sich ein freundlicher Italiener seiner annahm und ihm eine Reise nach Norwegen bezahlte. Die Norweger setzten ihn sofort in ein Flugzeug zurück nach Mailand, von dort schlug er sich nach Deutschland durch. "Ich verstehe das nicht. Warum haben die Länder Geld für Waffen, aber kein Geld, zu helfen?" Das Kirchenasyl bietet ihm ein wenig Frieden, er lernt Deutsch, hilft im Pfarrgarten  und malt: Fische, Blumen und einen Regenbogen. Am Gottesdienst nimmt er teil: "Mein Vater hat immer gesagt: Echte Moslems und echte Christen haben denselben Gott."

Die Cappeler helfen

Ein Unterstützerkreis von etwa 15 bis 20 Personen hat sich zusammengetan, um den Schützling der Kirchengemeinde zu versorgen: Sie bekochen ihn, kaufen ein und leisten ihm Gesellschaft. "Alle sind sehr freundlich zu mir", erzählt er. Ein Arzt behandelt ehrenamtlich seine quälend juckende Hautkrankheit, Medikamente bezahlt die Gemeinde mit Spenden. Aber eigentlich will er nichts geschenkt haben: "Ich würde gern arbeiten", sagt er. Wird das Beispiel Schule machen? "Dies ist ein Einzelfall", betont Pfarrer Dieter Bökemeier von der Lippischen Landeskirche. "Die Gemeinde hat eine individuelle Notlage gesehen." Was aus Mohammed ab Juni wird, ist unklar.

Lesen Sie hier, was zum Beispiel der Kreis Lippe zur Situation von Mohammed Muntari sagt.

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Am Ende zählt der Einzelne
Von Marianne Schwarzer

Zugegeben: Wir können in Lippe nicht das Elend der Welt bekämpfen, und sicher können wir in Europa auch nicht alle aufnehmen, die sich hier ein besseres Leben erhoffen. Und doch dürfen wir die Augen nicht vor einzelnen Schicksalen verschließen. Darum hat die Kirchengemeinde Cappel verantwortlich und richtig gehandelt. Ebenso die Ausländerbehörde im Kreishaus die das Kirchenasyl in diesem Fall respektiert.
Behörden müssen sich an Gesetze halten. Selbst wenn Vertreter der Ausländerbehörde Flüchtlinge nur ungern in das schon längst vollkommen überforderte Italien und damit in Not und Obdachlosigkeit zurückschicken, wird ihnen meist nichts anderes übrig bleiben. Mit dem Kirchenasyl bietet die evangelische Gemeinde Cappel einen Ausweg, der den Behörden verschlossen bleibt, ein Gegengewicht. Und das ist richtig so, gelebtes Christentum: Wer mit Mohammed Mutari spricht, erlebt einen schwer traumatisierten, heimatlosen Menschen in Not. Das kann niemanden kalt lassen.
Die Hilfe für den Einzelnen ist das eine, aber das System muss sich verändern: Wer Zuflucht in Deutschland findet, muss die Chance haben, etwas zurückzugeben und arbeiten dürfen. Kirchenasyl kann keine Massenlösung sein, dessen sind sich sicher alle Seiten bewusst. Genauso wenig aber kann die Landeskirche versprechen, dass dies ein Einzelfall bleibt. Denn dies ist - zum Glück - eine souveräne Entscheidung der einzelnen Kirchengemeinde.

MSchwarzer@lz.de

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