Letzter Ausweg Argentinien - Familie flieht aus Blomberg

Blomberg. Sommer 1927, Schützenfest in Blomberg: Zum Foto haben sich König Wilhelm Herbst und Königin Anna Köhne mit ihrem Hofstaat im Garten versammelt. Es scheint ein warmer Tag zu sein: Die Damen – unter ihnen Else Königheim – tragen kurzärmelige Kleider, auf das Gesicht ihres Gatten Gustav Königheim fällt ein leichter Schatten. Es ist wohl keine düstere Vorahnung dessen, was in einigen Jahren passieren wird. Es ist nur die Sonne. Zehn Jahre später sitzt Familie Königheim auf gepackten Koffern. Verfolgt von den Nationalsozialisten, gemieden vom Großteil der Blomberger Bevölkerung, ohne Perspektive, bleibt der jüdischen Familie nur die Emigration.

Der Familienvater wendet sich an den Hilfsverein Deutscher Juden in Berlin, der ihm eine Arbeit in der Fremde vermittelt. Gustav und Else Königheim haben mit ihren Kindern Ilse (geb. 1921) und Max-Julius (geb. 1919) die letzten zwei Monate in der ehemaligen Synagoge im Siebenbürgen gewohnt, nun ist es soweit: Ende 1937 reist die vierköpfige Familie nach Argentinien aus. &bdquo;Da ich von meinen jetzigen Einnahmen den Lebensunterhalt meiner Familie nicht bestreiten kann, sehe ich mich gezwungen, mir eine neue Existenz zu gründen. Mein Sohn, der das Schlosserhandwerk erlernt hat, beendet demnächst seine Lehre. Aussichten, ihn in einer entsprechenden Stelle unterzubringen sind nicht vorhanden(...)", erläutert Gustav Königheim Anfang 1937 dem Bürgermeister die Gründe seiner Auswanderung.

Erst angesehen, dann geächtet

Die Königheims lebten seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Blomberg und waren nach Recherche des Stadtgeschichtlichen Arbeitskreises spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts eine angesehene und gesellschaftlich gut integrierte Familie. Gustav Königheim (geb. 1885) war eins von sechs Kindern des Schlachters Markus Königheim (1855-1919). Er war hochdekorierter Soldat im Ersten Weltkrieg. Als Schlachter und Viehhändler betrieb er mit seiner Frau sein Geschäft zunächst am Langen Steinweg (heute Nr. 28) und später, ab 1892, am Kurzen Steinweg/Ecke Petersilienstraße (heute Standort der Volksbank Ostlippe). Als Offizier gehörte er dem Alten Blomberger Schützenbataillon an.

Zeitzeugen beschreiben die Familie als &bdquo;sehr großzügig und warmherzig". Gustav Königheim habe als einer der ersten in Blomberg ein Auto besessen, sogar mit Fahrer. Er sei als Geschäftspartner beliebt gewesen, &bdquo;denn er handelte reell". Und ein weiterer Zeitzeuge berichtet: &bdquo;Gustav Königheim hatte in der Stadt den allerbesten Ruf. Er sah bei der Arbeit immer ein bisschen eleganter aus als andere (...). Wenn jemand krank war, dann verschenkte er Suppe." Doch mit Beginn der Nazi-Herrschaft ändert sich die Situation der Familie dramatisch: Die Königheims werden von ihren Mitbürgern gemieden, auf der Straße nicht mehr gegrüßt, dürfen in Geschäften nicht mehr einkaufen.

Angebliche Schutzhaft

In der Nacht vom 29. auf den 30. Juli 1933 steht ein SA- und SS-Trupp aus etwa 20 Hilfspolizisten vor dem Haus der Königheims und fordert den Familienvater lautstark auf, herauszukommen, weil er in Schutzhaft genommen werden solle. Der hinzugerufene Blomberger Wachtmeister sieht dafür keinen Anlass, nimmt Gustav Königheim nach Rücksprache mit dem Landespolizeidirektor jedoch fest und bringt ihn im Rathaus unter: &bdquo;Um ungesetzlichen Handlungen (...) vorzubeugen und um Königheim vor weiteren Belästigungen und Schäden zu bewahren(...)", wie der Polizei-Hauptwachtmeister in seinem Bericht an den Bürgermeister am 30. Juli 1933 schreibt.

Für Familie Königheim spitzt sich die Lage weiter zu: In der Schule werden die Kinder gehänselt und von Veranstaltungen ausgeschlossen. 1934 müssen die Königheims ihr Geschäft aufgeben und in die Kuhstraße ziehen. Ab Mitte August 1935 dürfen Juden nicht mehr ins Freibad gehen, wer weiter mit jüdischen Geschäftsleuten Handel treibt oder jüdische Lehrlinge beschäftigt, wird ab jenem Zeitpunkt von der Vergabe städtischer Aufträge ausgeschlossen, ist in einer Verfügung des Bürgermeisters zu lesen.

Fluchtkisten aus Bänken

Der Blomberger Schlossermeister Eickermann lässt Max Julius Königheim ungeachtet dessen seine Lehre bei ihm abschließen. Dennoch sieht die Familie am Ende keinen anderen Ausweg, als Blomberg, Deutschland zu verlassen. Ihr Ziel: Die landwirtschaftliche Kolonie Avigdor deutsch-jüdischer Emigranten in Argentinien. Max-Julius Königheim, der später nach Israel auswanderte, besuchte seine alte Heimat Blomberg 1995 zur Einweihung des Stadtarchivs in der ehemaligen Synagoge. Er erinnerte sich an die Zeit, in dem er mit seiner Schwester und den Eltern in dem Haus Zuflucht gefunden hatte: &bdquo;Es war unsere letzte Rettung. Wir haben aus den Bänken der Synagoge die Kisten für unsere Habseligkeiten gezimmert, die wir mit nach Argentinien genommen haben."

Die Königheims

Gustav Königheim hatte fünf Geschwister: Julius fiel im Ersten Weltkrieg in Verdun, Grete kam im KZ ums Leben. Lina wanderte in die USA aus, Theodor floh nach Neuseeland. Nachdem sein Geschäft 1934 in Konkurs ging, lebte er mit seiner Familie in der Kuhstraße. Der Stolperstein ist vor dem Gebäude der Volksbank am Kurzen Steinweg geplant.

Letzter Ausweg Argentinien - Familie flieht aus Blomberg

Geschichtsstunde: Wie die Blomberger Jugendfeuerwehr sich mit dem Nazi-Regime beschäftigt

Nachfahren der Familie Bornheim gehen in Oerlinghausen auf Spurensuche

Zwischen Gauliga und Gleichschaltung: Arminia zu Beginn der NS-Zeit

Bührle-Sammlung behält Gauguin-Bild nach Vergleich mit Erben

Darum öffnet Christine Eisert erstmalig das schwere Eichentor der Blomberger Burg

Blomberger Grüne stellen größte Ratsvertretung ihrer Geschichte

Lippische Landes-Zeitung: Nachrichten aus Lippe, OWL und der Welt

Weiterlesen mit LZplus!

0,99 Euro im ersten Monat

Weiterlesen mit LZplus