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Enkel von Rudolf Höß sucht Nähe zu Holocaust-Überlebenden

Silke Buhrmester

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Enge Verbindung: Rainer Höß (l.), Enkel des ehemaligen Auschwitz-Lagerkommandanten Rudolf Höß, beobachtet den Holocaust-Überlebenden Ben Lesser im Interview. - © Evert Nikesch
Enge Verbindung: Rainer Höß (l.), Enkel des ehemaligen Auschwitz-Lagerkommandanten Rudolf Höß, beobachtet den Holocaust-Überlebenden Ben Lesser im Interview. (© Evert Nikesch)

Detmold. Er war der Inbegriff des industriellen Massenmordes: Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß. Sein Enkel Rainer – Jahrgang 1965 – taucht zum Gerichtsprozess gegen den ehemaligen SS-Mann Reinhold Hanning in Detmold auf – und bereitet Unbehagen.

Gelb gestreifte Krawatte, hellblaues Hemd, Anzug, Seitenscheitel: Rainer Höß kommt in der Verhandlungspause des fünften Prozesstages gegen den ehemaligen SS-Wachmann Reinhold Hanning (94) in den Gerichtssaal und setzt sich auf einen der frei gewordenen Publikumsplätze. Immer wieder sucht er Augenkontakt zu Gail Lesser-Gruber, die auf einem der für die Nebenkläger reservierten Plätze sitzt. Die US-Amerikanerin begleitet ihren Vater Benjamin Lesser zum Prozess. Der 87-jährige Nebenkläger reist aus Las Vegas nach Detmold, um dem Gericht das Schicksal seiner Familie unter den Nazis zu schildern.

Lesser und Höß kennen sich gut, bereisen gemeinsam den Westen der USA und bieten dort Projekte und Vorträge an und organisieren Schulreisen nach Auschwitz. Nach dem Prozess lassen sie sich gemeinsam vor Fernsehkameras interviewen, Lesser legt Höß den Arm um die Schulter und erklärt, dass er dessen Engagement schätze. Der Kampf gegen Rechts eine ihn und Höß, der nichts für die Taten seines Großvaters könne.

Doch nicht alle sind so gut auf den Enkel des Lagerkommandanten zu sprechen. Schon bei dem vorherigen Auschwitz-Prozess gegen Oskar Gröning in Lüneburg sorgte der 51-Jährige für Unwohlsein unter den jüdischen Nebenklägern, weil er sich in die für sie reservierte Bankreihe im Gerichtssaal setzt. Seine Kritiker werfen ihm Geschäfte mit dem Holocaust vor.

Höß, der auf Anfragen dieser Zeitung nicht reagierte, sucht immer wieder die Nähe zu Holocaust-Überlebenden. Er solidarisiert sich auch symbolisch mit ihnen. Auf die Brust hat er sich den Schriftzug „Never Forget“, einen Davidsstern und drei Häftlingsnummern tätowieren lassen. Zusehen ist das auf Fotos, die im Internet zu finden sind, und auf denen Höß mit nacktem Oberkörper vor dem Todeszaun des Vernichtungslagers Buchenwald posiert.

Eine Aufarbeitung der Taten seines Großvaters Rudolf Höß hat es in der Familie jedoch nie gegeben. Rainers Vater Hans-Jürgen wurde 1937 geboren und wuchs mit vier Geschwistern in einer Villa im Schatten der Auschwitz-Krematorien auf. Als Rainer mit 12 Jahren bei einem Schulbesuch im Vernichtungslager Dachau den Namen seines Großvaters erstmalig liest und seinen Vater damit konfrontiert, habe dieser die Taten negiert.

Mit 21 bricht Rainer Höß deshalb den Kontakt zu seiner Familie, mit Ausnahme seiner Mutter, ab. Mehr und mehr verschreibt sich der Enkel der Recherche über Auschwitz.

Schlagzeilen macht Höß, als er Erinnerungsstücke seines Großvaters der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem zum Kauf anbietet. Die Museumsleitung lehnt bestürzt ab. Höß entschuldigt sich später. Fortan geht er noch offensiver mit der Vergangenheit seines Großvaters um. Im Internet nennt er sich Autor, er weiß sich zu vermarkten.

An Eva Mozes Kor, die als Zwilling in Auschwitz für medizinische Experimente missbraucht wurde, richtet er den Wunsch, dass sie seine Oma wird. Sie erfüllt ihm diesen Wunsch. Öffentlich sagt die alte Dame, die im Lüneburger Auschwitz-Prozess als Nebenklägerin auftrat und Höß an ihrer Seite hatte: „Ich liebe ihn wirklich“. Es habe sie beeindruckt, dass er zu einer anständigen Person herangereift sei, obwohl er mit bösen Menschen aufgewachsen sei. „Ich bin stolz darauf, seine Großmutter zu sein.“

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