Detmold. Ein Instrument zu lernen, ist immer eine knifflige Sache. Das Ganze zu unterrichten noch viel mehr. Was aber, wenn man ein Instrument unterrichten soll, das man selbst gar nicht beherrscht? Die Studierenden an der Hochschule für Musik haben das jetzt herausgefunden.
Der 70-jährige Klarinettist Gerd Beckmann hat sich dafür als „Versuchskaninchen" zur Verfügung gestellt. Der passionierte Jazz-Musiker spielt seit 58 Jahren Klarinette – im Zuge des Workshops „55+" ist er zur Hochschule für Musik gekommen. Und nimmt seit gut einem Jahr professionellen Klarinettenunterricht bei der Studentin Linda de Groot. Unter den wachsamen Augen ihrer Kommilitonen haben nun insgesamt vier Studenten probeweise eine Unterrichtseinheit mit ihm leiten dürfen – vom Klavier aus. Währenddessen konnten die Mitstudenten Fragen stellen oder Tipps geben.
Reinhild Spiekermann, Professorin für Instrumental- und Klavierdidaktik, hat den Laborunterricht, der zum ersten Mal mit zwei verschiedenen Instrumenten stattfindet, organisiert. Sie weiß, was es bedeutet, Kammermusik zu machen: „Es spielen verschiedene Instrumente zusammen. Man vertritt dabei aber immer nur sein eigenes."
Darin sieht auch Student Rafael Klepsch die Herausforderung. Der 21-Jährige studiert im fünften Semester Instrumentalpädagogik Klavier. Er spielt Schlagzeug und hat bereits Klavierunterricht gegeben. Vom Klarinettenspiel hat er allerdings überhaupt keine Ahnung, wie er sagt: „Daher kann ich keine technische Hilfestellung geben. Man muss versuchen, alles über den Klang und die Musik zu vermitteln."
Gerd Beckmann legt an der Klarinette direkt los. Das Stück „Adagio" von Albinoni steht auf dem Programm. Auch wenn auf Anhieb nicht jeder Ton perfekt sitzt – Neu-Lehrer Klepsch sieht es entspannt: „Mach dir keinen Stress – nimm dir Zeit." Er empfiehlt dem 70-Jährigen, seinen eigenen Grundpuls zu fühlen und so den Takt der Musik zu spüren. Beckmanns Spiel wirkt daraufhin ruhiger und sicherer.
"Das Lehren von Musik gleicht sich weltweit"
Nach einer knappen halben Stunde hat es der 70-Jährige fürs Erste geschafft. Und auch die Mitstudenten merken leise an, dass sich nach der Unterrichtseinheit bereits einiges verbessert habe. Ziel des Laborunterrichts ist es nämlich auch, gemeinsam zu überlegen, was die angehenden Lehrer noch verbessern könnten. Und dabei stelle gerade das Musizieren mit Älteren die Studenten vor eine ganz neue Herausforderung, weiß Professorin Spiekermann.
Im Anschluss ist Lim Angela Tchoi an der Reihe. Die 34-Jährige ist Austauschstudentin aus Kalifornien und erst seit August in Deutschland. Bereits seit 15 Jahren unterrichtet sie Klavier – dass sie heute das Zusammenspiel mit einem anderen Instrument lehren soll, ist für die in Korea geborene junge Frau ganz überraschend gekommen, erklärt sie schmunzelnd.
Ihre 20-minütige Unterrichtseinheit mit Gerd Beckmann geht sie ganz gelassen an: „Stell dir vor, wir gehen gemeinsam einen musikalischen Weg. Spiel einfach ganz frei – ich höre auf dich", sagt sie und wählt damit einen ganz anderen Lehransatz als ihr Vorgänger Rafael.
„Jeder hat seine eigene Lehrpersönlichkeit und soll diese auch frei entfalten können", betont Spiekermann, für die beide Methoden gut gewählt sind. Für Klarinettenschüler Beckmann geht es weiter mit dem Üben einzelner Notengruppen. Die Amerikanerin pickt sich dafür immer wieder Stellen aus dem Stück heraus, an denen sie dann gemeinsam mit ihm feilt. Und immer wieder schaut Beckmann Lim am Klavier über die Schulter oder sie tritt zu ihm ans Notenpult – und meistert dabei auch die sprachliche Hürde gekonnt.
Die Amerikanerin mit koreanischen Wurzeln zieht am Ende ein interessantes Fazit: „Ich habe festgestellt, dass das Lehren von Musik auf der ganzen Welt gleich ist – ganz egal, welchen kulturellen Hintergrund man hat, wie alt man ist oder auf welchem Niveau man spielt."
Für Reinhild Spiekermann steht fest: Sie möchte den Laborunterricht in jedem Fall wiederholen. Und auch Gerd Beckmann wäre wieder dabei: „Ich habe aus den Unterrichtsstunden viel mitgenommen."
Workshop „55+" der Hochschule für Musik
Der Workshop „55+" sollte älteren Menschen die Möglichkeit geben, auch im hohen Alter noch ein Instrument zu lernen – und das unter professionellen kammermusikalischen Bedingungen. Gerd Beckmann ist 2015 darauf aufmerksam geworden. Die Teilnahme sei für ihn ein „musikalischer Wendepunkt" gewesen.Der passionierte Jazz-Musiker nimmt seit Beginn dieses Jahres einmal wöchentlich Klarinettenunterricht an der Hochschule für Musik und setzt sich nun intensiv mit klassischen Musikstücken auseinander. Er habe auch neue Griff- und Atemtechniken gelernt und vor allem das Noten lesen.
Laut Professorin Reinhild Spiekermann wurde der Fokus bewusst auf ältere Menschen gesetzt – denn es sei ein Irrglaube zu denken, dass nur junge Menschen ein Instrument lernen könnten. Und auch die Studenten profitieren vom Laborunterricht, in dem Beckmann den Schüler mimt: Denn das Unterrichten von Älteren brauche ganz andere Ansätze als etwa das Unterrichten von Kindern.