Ein Jahr Autismus-Therapie-Zentrum in Detmold: Hilfe für junge Menschen und Eltern

Detmold. Robin spricht nicht immer und nicht mit jedem. Er sucht sich seine Gesprächspartner genau aus. Und er benutzt auch nicht alle Wörter. Manche Ausdrücke, erzählt sein Therapeut Olaf Hanke, nehme er einfach nicht in den Mund. Der Diplom-Sozialpädagoge ist Teamleiter im Autismus-Therapie-Zentrum Lippe (ATZ) an den Standorten Detmold und Lemgo. 57 Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung zwischen drei und 33 Jahren finden hier Hilfe. Ihre Gemeinsamkeit: Die Störung beeinträchtigt ihre Kommunikation und Interaktion mit anderen.

Im ersten Obergeschoss spielt Sam lautstark mit den bunten Schaumstoffbauklötzen. Eben noch schaukelte er in der Hängematte hin und her und versuchte, mit einem dünnen Seil das Bällchen vor ihm zu treffen. Jetzt türmt er die großen geometrischen Figuren auf, dann versucht er, den Turm mit dem Seil umzuschlagen. Immer und immer wieder. Therapeutin Lisa Poser steht am Rand und ermuntert ihn. Im Nebenraum schauen seine Eltern Andre und Melanie Schmidt ihrem Sohn zu. Auf den ersten Blick unterscheidet er sich nicht von Gleichaltrigen.

Ein Achtjähriger mit Eigenarten

Sam geht in die zweite Klasse einer Regelgrundschule, unterstützt wird er von einem Integrationshelfer, einem Schulbegleiter. Der Achtjährige kommt gut klar, sagen die Eltern, aber er hat halt so seine Eigenarten: Zum Beispiel verstehe er nicht, warum er Wiederholungsaufgaben machen müsse, wo er den Unterrichtsstoff doch vor Wochen schon erlernt habe. Das kleine 1 x1 sagt er auf seine Art auf.

Und als er einmal bei einer Arbeit auf einem kopierten Blatt den längsten von mehreren Bleistiften gelb ausmalen sollte, habe er das so akkurat gemacht, dass die Zeit knapp wurde – inklusive holzfarbener Spitze, ohne die ein Bleistift eben kein Bleistift ist. Als Sam im Kindergarten war, sei den Erzieherinnen sein Verhalten aufgefallen. Es habe immer alles gleich sein müssen, beim Essen alles an der gleichen Stelle, die Wege immer gleich. &bdquo;Ich habe scherzhaft gesagt, mein kleiner Autist", sagt die Mutter.

Nach einem Jahr dann die Diagnose: Sam hat das Asperger Syndrom, eine leichte Form von Autismus. Melanie Schmidt fiel beinahe ein Stein vom Herzen. Mit der Diagnose konnte sie endlich Sams Verhaltensmuster verstehen und erklären: &bdquo;Das schlimmste ist ja nicht die Krankheit, sondern die Außenwelt", meint die Mutter. Sam sei für sein Alter schon immer groß gewesen – da kamen die Fragen: Warum kann er dies noch nicht und das noch nicht? – und damit die Zweifel der Mutter, etwas falsch gemacht zu haben. Zwischenmenschlich sei es manchmal schwierig, Klassenkameraden, die zum Spielen kommen, kämen meist kein zweites Mal: &bdquo;Sam hat eben seine Art zu spielen."

Deutlich mehr Fälle als vor zehn Jahren

Für die Eltern und den Grundschüler sind deshalb die wöchentlichen Therapieeinheiten bei Lisa Poser so wichtig: &bdquo;Unserem Sohn wird die Angst genommen, etwas falsch zu machen. Wir als Eltern lernen viel über den Umgang mit ihm, das entlastet uns", betont auch Vater Andre. Und die Familie bekommt Kontakt zu anderen.

Seit 2021 gibt es den Detmolder Standort des ATZ Lippe, und schon existiert eine Warteliste. Die Zahl der Autismus-Diagnosen nimmt zu – nicht zuletzt dank besserer Diagnosemöglichkeiten: &bdquo;Wir haben deutlich mehr Fälle als noch vor zehn Jahre – häufig auch in Verbindung mit ADHS oder ADS", berichtet Hanke. In Lemgo befindet sich der Anlaufpunkt auf dem Gelände der Stiftung Eben Ezer .

Für Olaf Hanke ist es wichtig, nun auch einen niederschwelligen Anlaufpunkt mitten in einem Wohngebiet, in einem alten Wohnhaus in der Emilienstraße , zu haben. Das Haus bietet verwinkelte Räume, um Höhlen zu bauen, Beratungsräume, Werkräume den Spiel- und Tobebereich.

Die Mehrzahl der Klienten, ungefähr 30, sind Kinder bis 13 Jahre, 20 sind jugendlich. Manche werden viele Jahre begleitet. Olaf Hanke betreut zum Beispiel einen 16-Jährigen seit vier Jahren. Anfangs habe der Junge sich mit Händen und Füßen gegen seine Diagnose gewehrt, wollte so &bdquo;normal" sein wie die anderen. Inzwischen sieht er sich selbst positiv: &bdquo;Neulich hat er gesagt: Mein Autismus ist meine Geheimwaffe."

Was entspricht der gesellschaftlichen Norm?

Olaf Hanke ist damit ein stückweit am Ziel seiner Arbeit: Es gehe darum, dass die Klienten lernten, mit dem Regelwerk umzugehen. Vereinfacht: Was gehört sich, was nicht? Was entspricht der gesellschaftlichen Norm? Es gehe aber auch darum, dass die Klienten von ihrem Umfeld mit ihren Besonderheiten akzeptiert würden und sich selbst annähmen und als wertvoll empfänden: &bdquo;Wir stellen heraus, was der Einzelne für Fähigkeiten hat, nicht, welche Defizite er hat."

Sams Eltern haben das für sich längst begriffen: &bdquo;Wenn jemand hört, dass Sam Autist ist, ernten wir meistens mitleidige Blicke. Aber wir haben einen tollen Sohn. Und wir würden ihn um nichts auf der Welt tauschen wollen", sind sich Andre und Melanie Schmidt einig.

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