Sichtbarkeit ist Widerstand: Organisatoren des Detmolder CSD sprechen über queeres Leben

Detmold. Die Residenz - eine beschauliche Stadt in Lippe, bekannt für Fachwerkhäuser, das Hermannsdenkmal und eine gewisse &bdquo;lippische Bodenständigkeit“. Aber auch hier tut sich was. Sasha Bukowski (30) und Joey Brouwer (33) organisieren mit einem Team den Christopher Street Day (CSD) in Detmold, der am Samstag, 14. Juni, startet. Dabei kämpfen sie nicht nur für Sichtbarkeit, sondern auch gegen Vorurteile. Ein Gespräch über Mut, Provinz und queere Lebensrealitäten abseits der Großstadt.

Wie kam es dazu, dass ihr den CSD in Detmold organisiert?

Joey Brouwer: Ich bin von der ersten Stunde an dabei. Als ich nach Detmold zurückkam, dachte ich: &bdquo;Das fehlt hier.“ Nach einem Aufruf auf Instagram im Februar 2023 trafen sich rund 25 Interessierte: Studierende, Fridays for Future-Leute. Einen Monat später wurde der Verein &bdquo;CSD Lippe“ gegründet und im Juni fand schon der erste CSD in Detmold statt. Wir hofften, da würden vielleicht 500 Leute kommen. Der Zulauf von mehr als 2000 Teilnehmenden hat uns gezeigt, wie nötig ein CSD in Lippe ist. Es war auch eine Reaktion auf das Unsichtbarsein. In Großstädten gibt es Netzwerke, Bars, Anlaufstellen. Hier in Detmold ist queeres Leben eher privat – aber es ist da. Und der CSD ist unsere Möglichkeit, zu zeigen: &bdquo;Wir sind viele, und wir sind hier.“

Sasha Bukowski: Im stamme aus dem Ruhrgebiet, habe mich schon beim CSD Wiesbaden engagiert und in Mainz gewohnt. Beruflich bin 2023 ans Landestheater Detmold gekommen. Durch das Treffen &bdquo;Queer-Bier&Friends“, das vierzehntägig Mittwochabends im Paraplü stattfindet, bin ich zum Verein &bdquo;CSD Lippe“ gekommen. Warum sollen queere Menschen immer nach Bielefeld, Köln oder Hannover fahren? Also dachten wir: &bdquo;Dann machen wir’s eben hier.“

Wie ist es denn, in einer kleineren Stadt wie Detmold queer zu leben?

Joey Brouwer: Es ist ambivalent. Ich mag Detmold, aber es hat sich in den letzten Jahren definitiv verschlechtert. Sicher fühle ich mich hier nicht mehr, seitdem ich mehrmals bedroht wurde. Händchenhaltend Spazierengehen wie früher ist nicht mehr möglich. Der Rechtsruck in der Gesellschaft ist spürbar. Man kennt sich – das kann ein Gefühl von Gemeinschaft geben, aber es bedeutet auch, dass man nicht in der Anonymität der Großstadt untertauchen kann. Wenn man auffällt, bleibt man in Erinnerung.

Sasha Bukowski: Die Bedrohung bekommt man nur mit, wenn man selbst betroffen ist. Sie kommt aus der breiten Masse und ist nicht einer Gruppe – Migranten oder religiösen Fundamentalisten - zuzuordnen. Wenn man sich queer outet, erntet man oft feindselige Blicke und Bemerkungen, besonders von Anhängern der AfD. Und obwohl die Leute oft tolerant sein möchten, merkt man, dass viele noch nie wirklich mit queeren Menschen gesprochen haben.

Gab es Reaktionen aus der Stadtgesellschaft, als ihr den ersten CSD organisiert habt?

Joey Brouwer: Besonders die Stadtverwaltung muss ich loben, die uns gut unterstützt. Der Bürgermeister geht bei der Demo in der ersten Reihe mit. Sichtbarkeit schafft Verständnis. Und wir merken: Es bewegt sich was. Beim letzten CSD kamen über 2000 Menschen – und das in einer Stadt mit rund 75.000 Einwohnern!

Was wünscht ihr euch für queeres Leben in der Provinz?

Sasha Bukowski: Mehr Räume – im wörtlichen und im übertragenen Sinn. Es braucht &bdquo;safe spaces“ (sichere Orte, Anm. d. Red.), Jugendarbeit, Aufklärung in Schulen, queere Kulturangebote und mehr Sichtbarkeit. Queer sein ist nicht nur ein Großstadtphänomen. Queere Menschen gibt es überall. Ich wünsche mir Menschen, die zuhören, ohne sofort zu urteilen oder sogar verurteilen. Und ich versuche, mich nicht zu verstecken.

Joey Brouwer: Mehr Normalität. Dass man nicht ständig als &bdquo;die Lesbe“ oder &bdquo;der Schwule“ in eine Schublade gesteckt wird, sondern einfach als Mensch gesehen wird. Man sollte das antiquierte Schwarz-Weiß-Denken überwinden, dass Männer so und Frauen anders sein müssen. Es hat bei mir lange gedauert, meine Identität zu finden, da es kaum Sichtbarkeit gibt. Queersein sprengt die Grenzen und ist kein Sonderfall – es ist Teil der Realität, auch hier in Lippe.

Und wie geht es weiter mit dem CSD Lippe?

Joey Brouwer: Wir sind schon mitten in den Planungen für den nächsten CSD am Samstag, 14. Juni, in Detmold. Das Rosental wird komplett gesperrt, da der Bürgerpark für eine so große Veranstaltung mittlerweile zu klein geworden ist. Es soll wieder eine Demo geben, Redebeiträge, Musik, Infostände – und hoffentlich noch mehr Menschen, die mit uns auf die Straße gehen.

Sasha Bukowski: Und vielleicht wächst daraus ja mehr – ein regelmäßiges queeres Zentrum, eine stärkere Vernetzung in der Region. Wer weiß? Wir bleiben dran.

Zum Schluss: Was bedeutet euch persönlich der CSD in Detmold?

Sasha Bukowski: Für mich ist der CSD ein Anker, wo ich meine Leute finde und ein Grund, warum ich mich in Detmold zu Hause fühle. Ein Moment, in dem wir sagen: &bdquo;Wir lassen uns nicht kleinmachen. Nicht hier, nicht irgendwo.“

Joey Brouwer: Der CSD Lippe ist mein Baby. Ich hoffe, dass die nächste Generation hier offener leben kann als wir. Ohne Angst und mit Stolz. Die Geschichte der Diskriminierung sollte in Erinnerung bleiben wie etwa Paragraf 175, ein Relikt aus vordemokratischen Zeiten, das homosexuelle Liebe und queeres Leben kriminalisiert hat und erst vor 30 Jahren in Deutschland gestrichen wurde.

Der nächste CSD Lippe findet in Detmold Samstag, 14. Juni, ab 13 Uhr statt. Weitere Infos auf Instagram unter &bdquo;CSD Lippe“.

Persönlich Joey Brouwer ist 33 Jahre alt, lebt in Detmold und arbeitet im Schötmaraner Jugendzentrum und ist seit der ersten Stunde beim Verein &bdquo;CSD Lippe“, der die Veranstaltung am 14. Juni organisiert, mit dabei. Zusätzlich beschäftigt sich Joey Brouwer mit dem Thema Femizide und hat das feministische Bündnis &bdquo;8M Detmold“ mitbegründet. Joey Brouwer verwendet für sich das Neopronomen dey/deren.

Sasha Bukowski , 30 Jahre alt, nutzt für sich das Pronomen sie/ihr. &bdquo;Die richtigen Pronomen und Bezeichnungen für sich selbst zu finden und mit diesen akzeptiert zu werden, ist für Trans- und nicht-binäre Personen oft ein langer und schmerzhafter Prozess“, wie Sasha Bukowski erläutert. Bei der Verwendung der richtigen Pronomen gehe es um Akzeptanz, Wertschätzung sowie Diskriminierung. Deshalb ist diese für queere Menschen extrem wichtig .

Sasha Bukowski kommt ursprünglich aus dem Ruhrgebiet, ist 2023 nach Detmold gekommen und arbeitet hier als Regieassistentin am Landestheater. Seit 2023 engagiert auch sie sich im Verein &bdquo;CSD Lippe“, war vorher in Wiesbaden beim Christopher Street Day aktiv.

Transparenzhinweis: Die persönlichen Informationen zu Joey Brouwer und Sasha Bukowski wurden nachträglich ergänzt.

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