Vom Stream zum Applaus – wie Lippe die Live-Musik zurückholt

Kreis Lippe. Backstage kocht sich Liam Gallagher von Oasis gerade einen Tee. &bdquo;Lecker“, sagt er der BBC. &bdquo;Früher hatten wir vier Leute hier, die sich um das gekümmert haben. Heute muss ich es selbst machen.“ Denn niemand kaufe mehr Platten und lade sich alles &bdquo;für nichts“ runter. Ein symptomatisches Problem in der Musik- und Veranstaltungsbranche seit Jahren. Live wird für die bekannteren Künstler immer wichtiger, um Geld zu verdienen. Im Amateurbereich hat live eine andere Bedeutung.

Der Kaiserkeller in Detmold ist Lippes Vorzeigeadresse, was regelmäßige Live-Musik angeht. Die etwas größeren Acts machen eher Station im Red Horn District, wenn sie auf der Durchreise sind, in Deutschland touren und zwischendurch mal etwas freie Zeit haben, die sie mit einem Konzert füllen möchten. Denn: In Zeiten einbrechender Einnahmen durch Verkäufe sind Live-Konzerte eine wesentliche Einnahme für Musiker geworden. Im Amateur-Bereich waren sie das schon immer – denn es geht darum, überhaupt zu spielen, bekannt zu werden und Kontakt zum Publikum zu bekommen.

&bdquo;CDs lohnen sich nicht mehr“ Steve Schirlau vom Kaiserkeller in Detmold weiß: &bdquo;Was die Bewerbungen um Konzerte im Kaiserkeller angeht, stelle ich hier keine Steigerung fest.“ Die zehn Profi-Bands, die pro Jahr bei ihm spielten, würden durchaus auch ganz gut verkaufen – allerdings vor Ort während des Konzertes beziehungsweise danach. &bdquo;Dass mit Spotify nichts zu verdienen ist und es sich wirtschaftlich nicht mehr lohnt, CDs zu produzieren, höre ich durchaus – und weiß ich auch“, sagt Schirlau.

Jede Menge Künstler gehen daher seit Jahren auf intensive Tourneen – ob kleinere Bands und Solokünstler, die von den Einnahmen ihrer Musik leben müssen, oder große Acts. Nicht wenige tauchen aus der Versenkung wieder auf, weil sie von Verkäufen nicht mehr leben können wie früher. Gerade erst ist es bei Oasis der Fall – und man hört die Galagher-Brüder nicht nur über die &bdquo;Downloaderei“ schimpfen, sondern auch über die hohen Ticketpreise. Zwar werden die von Fans bereitwillig bezahlt und viel davon kommt auch den Künstlern zu – andererseits haben immens hohe Ticketpreise auch noch ganz andere Gründe.

Was Streams im Netz angeht, lohnt sich das Geschäft jedenfalls nicht mehr wirklich. Mal eine grobe Vergleichsrechnung, denn natürlich hatten und haben Künstler unterschiedliche Verträge über ihre prozentualen Beteiligungen. Aber vom Verkauf einer CD für 20 Euro blieben früher – abzüglich aller anderen Beteiligungen und Kosten - durchschnittlich fünf Prozent beim Künstler hängen. Macht einen Euro pro CD. Mit 67 Millionen verkauften Exemplaren hat Michael Jackson demnach 67 Millionen Euro verdient.

&bdquo;Beat it“ liefert heute keine Millionen mehr Wer heute auf Spotify Geld verdienen will, muss zunächst innerhalb von 12 Monaten 1000 Streams vorweisen – vorher gibt es gar nichts. &bdquo;Loud + clear by spotify“ erklärt zu den Einnahmen: 2024 hat jeder Künstler pro eine Millionen Streams im Durchschnitt 10.000 Dollar erwirtschaftet. Allerdings sagt Spotify auch: &bdquo;Spotify bezahlt Künstler nicht für jede Wiedergabe oder jeden Stream.“ Das Abrechnungsmodell ist komplexer.

Die Lizenzzahlungen variierten laut Spotify außerdem je nach Art und Weise, wie Musik gestreamt wird, oder danach, was sie Künstler mit ihren Labels oder Distributoren vereinbart haben. Das wisse man nicht und könne daher nicht sagen, was Rechteinhaber am Ende erhalten. Von den Spotify-Einnahmen muss ein Künstler noch seine Kosten für Labels, Agenturen und andere Kosten abziehen.

Um eine Million Streams beziehungsweise &bdquo;Verkäufe“ im CD-Bereich zu erzielen, müsste man einen Song über den Platin-Bereich hinaus verkaufen. Für Singles gibt es Gold bei 300.000, Platin bei 600.000 verkauften Exemplaren. Wenn man laut Spotify pro eine Millionen Streams im Durchschnitt 10.000 Dollar erwirtschaftet, heißt das: &bdquo;Billie Jean“ von Michael Jackson hat sich etwa 12 Millionen Mal verkauft, und damit hätte Michael Jackson bei einem Dollar-Kurs von 0,85 Euro mit dem Song bei Spotify 102.000 Euro eingenommen. Der Benefiz-Song für Afrika &bdquo;We are the world“ würde auf 170.000 Euro bei 20 Millionen verkauften Singles kommen.

Lieber recyceln, statt neu produzieren Wer früher als Band bei Konzerten seine CDs verkaufte und mal eine Auflage von 10.000 oder 20.000 Stück erzielte, galt als durchaus erfolgreich. Wer heute 20.000 Streams bei einer Einnahme von durchschnittlich 0,3 Cent erzielt, bekommt 60 Euro – und wenn er einen guten Deal mit seinem Label hat, darf davon vielleicht 20 Prozent behalten: Reicht für eine Runde Bier in der Band. Der Effekt hat zudem Auswirkungen auf die Musikindustrie: Geld verdient man nur noch mit Megasellern und absolut sicheren Projekten bei möglichst geringen Kosten. Bands, die sich wochenlang im Studio einschließen: viel zu teuer. Da ist es günstiger, einen Hit aus den Achtzigern von einem DJ recyceln zu lassen, der zudem schon einmal bewiesen hat, dass er Charts-Potenzial besitzt. Und das wiederum hat Auswirkungen auf die Qualität des Musikangebotes.

Die Einnahmen aus Live-Auftritten sind heute in jedem Fall für viele Musiker wieder die Haupteinnahmequelle. Da schließt sich ein Kreis, denn so war es früher auch, als Bands in den Fünfzigern und Sechzigern durch die Lande touren und sich die Hacken wund spielen mussten. Und der Bedarf ist da, zumindest im Festival-Bereich und bei den großen Acts. Da spielen auch Ticketpreise keine Rolle, wenn man Oasis oder Taylor Swift sehen will. Denn Konzerte haben eine Dynamik, schaffen auch ein Gemeinschaftsgefühl und schlagen eine Brücke zwischen Künstler und Publikum sowie unter den Fans.

Nischenmarkt für Vinyl Das unterschreibt auch Steve Schirlau. &bdquo;Für Bands ist es ungemein wichtig, vor Publikum zu spielen. Auf welches Publikum sie dann treffen – ob zehn Zuhörer oder hundert kommen, ist natürlich wiederum eine ganz andere Sache.“ Die CD als Medium jedenfalls sehe er kaum noch. &bdquo;Es hat ja auch nicht jeder mehr einen CD-Player – ich habe keinen mehr“, sagt er. Und das sorge für einen sympathischen anderen Trend: &bdquo;Bestimmt ein Drittel der professionellen Bands, die im Keller spielen, legen Vinyl-Schallplatten auf.“ Denn dafür gebe es einen Nischenmarkt – immerhin.

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